Ukraine: „Lady Ju“ kämpft bis zum Umfallen

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Bei der Präsidentenwahl am Sonntag droht den orangen Revolutionären eine bittere Niederlage.

MOSKAU/KIEW. Als man Julia Timoschenko kürzlich zu ihrem Familienstatus fragte, wurde es amüsant. Sie komme immer derart spät von der Arbeit nach Hause, dass ihr Mann schon längst schlafe, erklärte sie. Und weil sie früher als er aufstehe, sehe sie ihn praktisch nie. Damit nicht genug: Sie wisse gar nicht, was ihr Mann eigentlich tue, meinte die ukrainische Premierministerin.

„Lady Ju“, wie man die haarbekränzte Schönheit in der Ukraine gerne nennt, gilt als Ausbund an Energie. Böse Zungen behaupten gar, sie würde irgendwelche Mittel schlucken, um den Schlafmangel im laufenden Wahlkampf auszuhalten und trotzdem frischer als ihre Gegner zu wirken. Eigentlich aber sei sie unerbittlich und Verderben bringend wie der Tod, deutete ihr Erzfeind, der bisherige Staatspräsident Viktor Juschtschenko, an, indem er ein Wortspiel mit dem ukrainischen Homonym („Kosa“) für „Haarzopf“ und „Sense“ versuchte: Im Interesse der Ukraine dürfe „der Tod“ bei den Präsidentenwahlen am Sonntag nicht siegen.

Dass die weibliche Ikone der Orangen Revolution am Sonntag nicht gewinnt, weiß sie selbst genau. Ziel ihrer unermüdlichen Wahltouren und wundersamen Allgegenwart ist daher ohnehin, die Differenz zum Favoriten Viktor Janukowitsch so weit zu verringern, dass sie ihn bei der Stichwahl am 7. Februar besiegen kann.

„Phänomen Timoschenko“

Laut Umfragen wird sich Timoschenkos Traum, erste ukrainische Präsidentin zu werden, nicht erfüllen. Etwa zehn Prozent liegt sie laut Erhebungen hinter dem in der russischsprachigen Ostukraine dominierenden Janukowitsch zurück. Er, der 2004 vom halb autoritären Regime erfolglos ins Rennen geschickt wurde, um die Machtergreifung durch die jüngeren prowestlichen Revolutionäre zu verhindern, hält stabil bei mehr als 30Prozent Stammwählern.

Dafür, dass er nun – fünf Jahre später – zurück ist und den Thron besteigen könnte, brauchte er sich allerdings nicht ins Zeug legen. Sein einstiger Gegner und notorischer Zauderer Juschtschenko hat sich ohnehin selbst ins politische Abseits manövriert. Und die im Westen sowie in der Zentralukraine starke Timoschenko hat als Regierungschefin die Last der Wirtschaftskrise am Bein.

Noch freilich halten zwei Faktoren das Rennen offen. Zum einen das sogenannte „Phänomen Timoschenko“ – dass nämlich wie schon bei früheren Wahlen plötzlich um bis zu acht Prozent mehr Bürger, als dies bei Umfragen zugaben, für sie stimmen. Und schließlich noch der Kandidat Sergej Tigipko. Der Ex-Wirtschaftsminister und Unternehmer hat binnen wenigen Monaten einen Höhenflug auf gut zehn Prozent und somit auf Platz drei hingelegt. Beobachtern zufolge punktet der 49-Jährige gerade unter Enttäuschten mit der für Krisenzeiten wichtigen Wirtschaftskompetenz.

Die zwei Topfavoriten buhlen um die Gunst des politisch unverbrauchten Newcomers. Einiges nämlich dürfte davon abhängen, welche Empfehlung Tigipko seinen Wählern für die Stichwahl gibt. Als eines der Szenarien gilt, dass Timoschenko ihn mit dem Premiersposten ködert.

Tigipko selbst jedoch scheint noch ein anderes Ziel zu verfolgen. „Tigipko und die anderen Newcomer wollen sich mit den Präsidentenwahlen für die Parlamentswahlen in Position bringen“, sagt der Kiewer Politologe Wladimir Fesenko. Um das politische Dauerpatt zu lösen und nach fünf Jahren mit neuen Spielern vielleicht doch eine tragfähigere Mehrheit zu schaffen, könnten die Parlamentswahlen schon auf Mai vorgezogen werden. Und um die lähmende Kompetenzaufteilung zwischen Premier und Präsident neu zu ordnen, braucht es dringend eine Verfassungsänderung.

EU bleibt Ziel der Zukunft

Fünf Jahre nach der Orangen Revolution wird mit dem Ausscheiden Juschtschenkos der Weg frei für eine neue Dynamik in einer von kleinlichen Zwistigkeiten aufgeriebenen und erstarrten politischen Landschaft. Dass die übrig gebliebenen Spieler alle ein besseres Verhältnis zu Moskau suchen, sagt weniger über eine ideologische Ausrichtung als über eine größere Pragmatik aus. Auch Moskau versuchte zuletzt, sich mit allen Topfavoriten gut zu stellen.

An den prinzipiellen Errungenschaften der Orangen Revolution ändert dies nichts. Selbst die hinter Janukowitsch stehenden Industriebosse sehen ihre Zukunft in einer Annäherung an die EU.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2010)

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