Interview: "Das Verbrechen beim Namen nennen"

Marko Karadzic, Serbiens Staatssekretär für Menschenrechte im "Presse"-Interview.

„Die Presse“: Das Massaker von Srebrenica jährt sich heuer zum 15.Mal. Warum plant Serbiens Parlament erst jetzt eine Resolution dazu?

Marko Karadzic: Slobodan Milosevic war nach Srebrenica noch lange an der Macht. Und Sie können von jemandem, der diese Politik der Kriegsverbrechen zu verantworten hatte, kaum erwarten, dass er sich selbst verurteilt. Danach ging Serbien durch eine sehr schwere Zeit. Zoran Djindji?, der erste demokratische Premier, wurde ermordet, eine Lustration des Staatsapparats blieb aus. Macht und Einfluss derer, die die Kriegspolitik der 90er-Jahre unterstützten, machten eine Wende im eigentlichen Sinne unmöglich – gerade was die Bewertung der Vergangenheit betrifft.

Das Parlament hat die Srebrenica-Debatte erneut vertagt. Warum fällt Ihren Landsleuten die Verurteilung dieses Verbrechens so schwer ?

Karadzic:Es wäre sicher nicht schwierig, wenn wir wirklich den echten Willen hätten, dieses Verbrechen zu verurteilen – und es bei dem Namen nennen, den es verdient: Völkermord.


Warum will eine Mehrheit das Wort Genozid vermeiden?

Karadzic: Hier sagt man, dass es sehr wichtig sei, einen breiten Konsens für die Resolution zu schaffen. Aber in einer Gesellschaft, die jahrelang dieses Verbrechen weitgehend ausblendete, ist es sehr schwer, sich die Unterstützung jener Parteien zu sichern, die dieses Verbrechen bis gestern völlig leugneten.

Warum halten Sie die Verwendung des Wortes für so wichtig?

Karadzic: Man kann einer Frau, die vergewaltigt wurde, auch nicht weismachen, dass sie Sex mit gewalttätigen Elementen hatte. Die Leute von Srebrenica erwarten von uns nur ein wenig Menschlichkeit – und sie haben das Recht auf Wahrheit. Eine Resolution, die sich um deren Benennung drückt, würde denen, die durch all den Schrecken gingen, nur neuen Schmerz bereiten. Ich glaube, es wäre besser, es kommt zu keiner Resolution als zu einer, die sich um die klare Benennung des Verbrechens drückt.

Viele Abgeordnete wollen in der Resolution auf serbische Opfer verweisen oder zu deren Gedenken eine zweite Resolution verabschieden. Sind alle Opfer gleich?

Karadzic: Natürlich ist ein Opfer ein Opfer und ein Verbrechen ist ein Verbrechen, egal, an wem es begangen wurde. Zum Wohle der nationalen Befriedung haben wir es uns aber erlaubt zu vergessen, welche Politik aus Serbien heraus in den 90ern geführt wurde, wie es zur Bombardierung des Landes kam. Zehn Jahre zettelte das Milosevic-Regime in der Region Kriege und die schlimmsten Verbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg an. Aber es wurde das Bild kreiert, dass die NATO uns bombardierte, weil sie die Serben hasse. Ich weiß, dass auf allen Seiten Verbrechen begangen wurde. Aber wir sollten bei uns selbst beginnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2010)

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