Guantanamo: Häftling 567 und seine Rückkehr ins Nichts

(c) AP (Haraz Ghanbari)
  • Drucken

Sechs Jahre lang saß Mohammed Sulaymon Barre im US-Straflager Guantánamo. Beweise für seine Schuld gab es nie. Im Dezember kehrte er in seine Heimat Somaliland zurück.

Der Wind weht kräftig über das Rollfeld. Staub fegt über den Asphalt. Die Sonne steht hoch am Himmel und am Zaun, der den Flughafen umgibt, drängen sich Schaulustige.

Normalerweise ist der Internationale Flughafen von Hargeisa um die Mittagszeit ausgestorben. Doch heute kommt einer nach Somaliland, einer abtrünnigen Provinz im Norden Somalias, zurück, auf den viele hier seit über acht Jahren gewartet haben: Mohammed Sulaymon Barre.

Ende der Unschuldsvermutung

Seine Rückkehr ist seit Tagen Gesprächsthema in allen Teestuben der Hauptstadt Hargeisa. Im November 2001 wurde der heute 44-Jährige in Pakistan verhaftet. 2003 kam er ins US-Lager Guantánamo auf Kuba. Acht Jahre war er dort, als Häftling mit der Nummer 567 – ohne Anklage, ohne Prozess. Beweise für seine Schuld gab es keine. Im Kampf gegen den Terror gilt keine Unschuldsvermutung.

Für Hans-Joachim Heintze vom Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum wird Guantánamo in die Geschichte eingehen: „Als Beispiel dafür, wie wir islamische Menschen anders behandeln.“

Langsam steigt Sulaymon aus dem Flieger über die Stufen hinunter. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat ihn nach Hargeisa geflogen. Er wird von Regierungsvertretern und seiner Familie empfangen. Journalisten sind nicht erwünscht, Barre will nicht mit Medien sprechen, schon gar nicht mit „westlichen“, lässt sein Neffe Yusuf Duale ausrichten.

Seine Freilassung verdankt er dem Wahlsieg Barack Obamas, der versprach, Guantánamo binnen eines Jahres zu schließen. Doch die Pläne Obamas geraten ins Stocken. Und immer öfter kursieren Meldungen, dass sich Exhäftlinge der al-Qaida anschließen.

„Alle Moslems gedemütigt“

Zwei Tage nach seiner Ankunft in Hargeisa gibt Sulaymon fünf Journalisten ein Interview. Er beantwortet nur wenige Fragen, ist verärgert und schimpft über Amerika und den Westen. „Ich möchte Rache! Sie haben mich und alle Moslems dieser Welt gedemütigt!“ Dann taucht er ab, lebt in verschiedenen Hotels in Hargeisa. Sein Neffe blockt Anfragen ab, selbst jene des arabischen Senders al-Jazeera. Dass Österreich nicht Mitglied der Nato ist und die Schließung von Guantánamo gefordert hat, überzeugt ihn später, uns ein Interview zu gewähren.

Barre wirkt müde, seine Wangen sind eingefallen. Er sitzt im Haus seines Bruders im kargen Zentrum Hargeisas in einem Lehnstuhl, sieht meist zu Boden und spricht langsam. „Es war die Hölle auf Erden“, sagt er knapp über seine Zeit in Guantánamo und fährt sich durch den langen, schwarzen Bart.

Im November 2001 stürmte der pakistanische Geheimdienst (ISI) seine Wohnung in Karatschi, Pakistans größter Stadt. Ab Anfang der 90er-Jahre lebte er dort. Davor hatte er Sozialwissenschaften an einer höheren Schule in Burao im Nordwesten Somalilands unterrichtet. Der Bürgerkrieg in seiner Heimat nach dem Sturz von Diktator Siad Barre 1991 zwang ihn zur Flucht.

Geld wurde zum Verhängnis

In Karatschi begann Sulaymon zu unterrichten und bei der Firma „Dahabshiil“ zu arbeiten, einem Unternehmen für Geldtransfers, dessen Zweigstellen über die Welt verteilt sind. Dieser Job mit Geld wurde ihm zum Verhängnis.

„Seit Guantánamo kann ich mich nicht mehr gut an die Zeit vorher erinnern. Auch meine Verhaftung habe ich nur noch vage im Gedächtnis. Sie kamen in meine Wohnung und haben mich einfach mitgenommen. Niemand hat mir gesagt, warum“, erzählt er.

Zuerst wurde er in ein Geheimgefängnis des ISI gebracht. Mehrfach kamen Agenten des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA). „Sie warfen mir vor, dass Mitglieder der al-Qaida auf meinem Handy angerufen hätten. Doch ich kannte niemanden von der Organisation“, beteuert er.

Später kam der Vorwurf, er habe über Dahabshiil Geld für Islamisten gewaschen und sein angeblicher Kontakt zur al-Qaida sei 1994/95 im Sudan zustande gekommen, wo al-Qaida-Chef Osama bin Laden 1992–1996 gelebt und seine Bande aufgebaut hatte. Doch UNHCR-Dokumente belegen, dass Sulaymon zu der Zeit in einem Flüchtlingslager in Pakistan war.

Er wurde nach Bagram verlegt, sechzig Kilometer nördlich von Kabul – einer Militärbasis mit einem der berüchtigtsten Gefängnisse der Amerikaner in Afghanistan. Gefangene wurden dort auch schon mal zu Tode gefoltert. Nach Bagram gefragt, schließt Sulaymon die Augen, lehnt sich auf die Seite und flüstert: „Sie haben uns wie Tiere behandelt. Oft durften wir vier Nächte lang nicht schlafen, hatten trotz Kälte keine Decken und bekamen nur ein paar Kekse zu essen.“

Das Ziel: Den Willen brechen

Fast zwei Jahre währte sein Martyrium dort. 2003 kam er nach Guantánamo. Auch dort wollte man ihn brechen. Schlafentzug war an der Tagesordnung. „Sie haben ständig laute Musik gespielt. Vor allem während der Gebetszeiten.“ Auf die Frage, ob er sexuell missbraucht worden sei, antwortet er nicht. Er wird wütend, droht, das Interview abzubrechen. Einen Moslem fragt man das nicht. Selbst, wenn es passiert wäre, er würde nie darüber sprechen.

Dass letzten Dezember in Detroit ein Anschlag auf ein Flugzeug vereitelt wurde, will er ebenso wenig wissen wie, dass ehemalige Guantánamo-Insassen verdächtigt werden, im Jemen mit al-Qaida zu kooperieren. „Ich habe in den vergangenen Wochen nur geschlafen und nachgedacht“, erzählt er.

Die Bilder von der Haft schwirren ihm ständig durch den Kopf. „Ich hatte eine Einzelzelle. Nicht breiter als einen Meter. Oft wurden wir mit Hunden bedroht.“ Dann bricht er im Satz ab, will nicht mehr reden. Durch offene Fenster dröhnt Verkehrslärm. Militär patrouilliert auf den Straßen. Wieder wurde eine Terrorwarnung für die Stadt ausgegeben. Islamisten sollen Anschläge vorbereiten.

„Als ich vor ein paar Wochen ein Interview gegeben habe, war ich noch sehr wütend. Aber ich möchte keine Rache. Ich vergebe auch den Wachen in Guantánamo“, sagt er. „Ich dachte immer, das amerikanische Rechtssystem baue auf Gleichheit auf. Doch in Guantánamo waren nur Moslems. Sie haben uns ungerecht behandelt, weil wir Moslems sind.“

Von der Frau verlassen

Wie es weitergeht, weiß er nicht. Seine Frau verließ ihn, für sie war er nach einigen Jahren im Gefängnis tot. Sulaymon ist müde, will die nächsten Wochen einfach nur schlafen. Und dann? „Ich will mein Leben zurück. Jenes, das ich hatte, bevor ich nach Pakistan ging.“

HINTERGRUND

Mohammed S. Barre (44), 2001 in Pakistan verhaftet, war acht Jahre in US-Lagern in Afghanistan und Guantánamo. Er kommt aus dem Norden Somalias, das 1991 zerfiel. Nun lebt er wieder in Hargeisa, der Hauptstadt von Somaliland, einem nicht anerkannten Staat mit etwa drei Millionen Menschen, dessen Wirtschaft auf Überweisungen von Exilanten und Viehzucht beruht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.