US-Soziologe Rifkin: "Globalisierung von oben gescheitert"

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US-Soziologe Rifkin: "Globalisierung von oben ist gescheitert"(c) EPA (Katerina Mavrona)
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Der US-Soziologe Jeremy Rifkin sieht die Menschheit an einem Wendepunkt. Er hofft auf den Triumph des Mitgefühls. Mit der "Presse" spricht er über seinen Optimismus und apokalyptische Prophezeiungen.

Die Presse: In ihrem neuesten Buch träumen Sie von der „Empathischen Zivilisation“. Das wurde von vielen Rezensenten kritisch aufgenommen: Sie wurden als naiv und blauäugig - obwohl die Farbe ihrer Augen braun ist – hingestellt. Mal ehrlich, sind Sie Berufsoptimist?

Jeremy Rifkin: Die letzten 40 Jahre lang wurde ich dafür kritisiert, zu pessimistisch zu sein. „Jeremy Rifkin steht dieser und jener Technologie kritisch gegenüber, warnt vor diesem und jenem“, hieß es. Und es stimmte zum Teil: Ich war und bin skeptisch, was die „Segnungen“ der Gentechnologie betrifft. Ich habe seit fünf Jahren in meiner Zeitungs-Kolumne davor gewarnt, dass wir vor einer gewaltigen Finanzkrise stehen und dass unser der ökonomische Kollaps droht. Die einen haben mich dafür kritisiert, zu pessimistisch zu sein, jetzt heißt es wieder, ich sei zu optimistisch.

Und nach Ihrer eigenen Selbsteinschätzung?

Rifkin: Ich bin weder optimistisch noch pessimistisch, sondern ich bin vorsichtig hoffnungsvoll. Wir sind an einem Wendepunkt der Geschichte der Menschheit angekommen. Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit der Frage des Klimawandels, da ist es schwierig, Optimist zu sein. Natürlich gab es die ganze Menschheitsgeschichte hindurch apokalyptische Prophezeiungen. Aber hier geht es um etwas anderes: wir sind eine sehr junge Spezies - 175.000 Jahre. Die Biomasse der Menschheit macht die Hälfte von einem Prozent der gesamten tierischen Biomasse auf diesem Planeten aus. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt verbrauchen wir aber 24 Prozent der Produkte der gesamten Fotosynthese der Pflanzen. Wir werden uns in nächster Zukunft einer Bevölkerungszahl von neun Milliarden Menschen nähern. Wenn wir schon jetzt fast ein Viertel der gesamten Fotosyntheseleistung auf diesem Planeten verbrauchen, wie soll das noch gesteigert werden?

Welche Folgen hat die zunehmende Ressourcenknappheit?

Rifkin: Zwei Schlüsselereignisse der vergangenen Monate haben das Endspiel des fossilen Zeitalters markiert. Vor 18 Monaten, im Juli 2008, hat der Ölpreis einen Höchststand erreicht: 147 Dollar pro Barrel. In 30 Ländern gab es Brot-Revolten. Die Autoverkaufs-Zahlen stürzten in den Keller. Der ökonomische Motor der industriellen Revolution stotterte und starb schließlich ab. Dann der Kollaps der Finanzmärkte 60 Tage später: das war das Nachbeben. Wir werden eines Tages auf diesen Juli 2008 als wichtigen Moment der Geschichte zurückblicken. Das war der Monat, wo das letzte Kapitel der industriellen Revolution begann. Ich nenne das „Peak-Globalisation“.

Was meinen Sie damit?

Rifkin: Wir haben den Pro-Kopf-„Peak-Oil“ erreicht. Es gibt heute noch eine Kontroverse darüber, wann der „Peak-Oil“ – also das Förder-Maximum in der Öl-Produktion - erreicht sein wird. Die Pessimisten glauben, was dies zwischen 2010 und 2020 der Fall sein wird. Die Optimisten sagen: 2030. Doch den viel wichtigeren Indikator - nämlich Pro-Kopf-„Peak Oil“ – haben wir bereits 1979 erreicht. Was ich damit sagen will: Wenn man das gesamte verfügbare Öl auf die Weltbevölkerung verteilt hätte, dann hätte man im Jahr 1979 das Maximum erreicht. Nie zuvor und nie später stand - zumindest statistisch gesehen - dem einzelnen Erdenbürger eine größere Menge Öl zur Verfügung als damals. Natürlich: Wir haben immer wieder Öl gefunden. Nur ist die Bevölkerung des Planeten noch schneller gewachsen. Öl ist zum limitierenden Faktor unserer weiteren Entwicklung geworden. Nun haben wir keine Chance, aus der Öl-Falle zu entkommen. Ein kleiner Wachstums-Spurt, die Ölpreise steigen, ein Rückschlag. Ein kleiner Wachstums-Spurt, die Ölpreise steigen, ein Rückschlag. Und so geht es immer weiter.

Im Dezember 2009 ein weiteres wichtiges Ereignis: Kopenhagen. Das Ergebnis: ein totaler Kollaps. Am Klimagipfel wurde nicht erreicht. Das Problem ist fundamental: Das Narrativ, das wir benutzen, um das menschliche Wesen zu beschreiben, stammt aus dem 18. Jahrhundert. Die meisten unserer politischen Konzepte stammen aber aus der Zeit der Aufklärung. Vor der Zeit der Aufklärung beherrschte die christliche Welt das Denken: Wir sind in Sünde geboren. Die Denker der Aufklärung beschrieben den Menschen als rationales Wesen. Auf den eigenen Vorteil bedacht, utilitaristisch.

Die gute Nachricht: das ist nicht so. Alle Säugetiere, die Junge großzuziehen haben, sind soziale Wesen. Diese Säuger sind verspielt, sie hegen und pflegen ihren Nachwuchs. Um das tun zu können, muss man zur Empathie fähig sein. Löwenjunge, die sich balgen, müssen etwa in der Lage sein, zwischen Spiel und Ernst zu unterscheiden.

Beim Menschen ist es nicht anders. Wir entdecken heute den Homo Empathicus. Wenn man im Kino sieht, wie einer Schauspielerin oder einem Schauspieler eine riesige Spinne den Arm hoch krabbelt, dann fühlen wir geradezu mit. Oder wenn neben uns jemand nach einer Verletzung heftig blutet, sind wir schockiert. Wir sind mitfühlende Wesen und das macht uns menschlich.

Was folgern Sie aus diesen Erkenntnissen?

Rifkin: Ich stelle mir folgende Frage: Ist es möglich, dass man seine Empathie auf die gesamte Menschheit ausdehnt? Dass wir die anderen Lebewesen auf diesem Planeten als Verwandte erkennen? Wenn dies zumindest denkbar ist, dann können wir den Planeten retten.

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Wenn es so wäre, warum ist der Homo Empathicus dann zum Kriegführen oder zum Genozid fähig? Wo bleibt da die Empathie der Menschen?

Rifkin: Ich sage nicht, dass der Mensch dazu nicht fähig ist. Aber so furchtbar ist die Menschheit nun auch wieder nicht. Warum erscheint uns die Geschichte als einzige Abfolge von Katastrophen? Weil Historiker Pathologen sind. Der Grund, warum sich die Historiker mit diesen Dingen beschäftigen, ist, dass diese Ereignisse jenseits der Norm sind. Wenn die Menschheit wirklich so schlimm wäre, dann wäre sie schon vor Jahrhunderten ausgestorben.
Mir geht es in meinem jüngsten Buch um die Entwicklung des Bewusstseins und der Erweiterung der Empathie des Menschen.

Mein Gedanke: Revolutionen in der Menschheitsgeschichte verändern das Bewusstsein. Ökonomische Revolutionen finden dann statt, wenn eine Energie-Revolution auf eine Kommunikations-Revolution trifft. Ein Beispiel: in einer Gesellschaft von Jägern und Sammlern stammte die Energie von den Körpern der Jäger und Sammler, Kommunikation findet durch Sprache statt. Jede einzelne Gesellschaft von Jägern und Sammlern hat eine Mythologie, ein mythologisches Bewusstsein hervorgebracht.

Machen wir den Sprung vorwärts auf der Zeitachse zu den Sumerern in Mesopotamien. Eine bewässerte Agrargesellschaft, 3500 v. Christi. Vor dieser Zeit lebten die Menschen in kleinen Dörfern, ihre Felder wurden nur durch Regen bewässert. Dann gab es wohl einen Klimawandel, und die Menschen begannen, ihre Felder künstlich zu bewässern. Doch die Organisation von Bewässerungsanlagen erforderten neue technische Fertigkeiten, und eine effizientere Organisation der Gesellschaft. Während den Jägern und Sammlern Sprache als Kommunikationsplattform genügte, erforderte diese komplexe neue Agrar-Gesellschaft eine Kultur der Schrift. Ist doch interessant: Überall dort, wo bewässerte Landwirtschaft betrieben wurde, entstand eine Kultur der Schrift. Im Nahen Osten, im Industal, in China oder in Mexiko. Und es entstand ein Bewusstsein der Religion.

Nun ein weiterer großer Sprung ins Zeitalter der ersten industriellen Revolution: Die Kommunikation war durch die Druckerpresse revolutioniert worden. Gleichzeitig fand eine Energie-Revolution statt: Die Erfindung der Dampfmaschine läutete die Ära der fossilen Brennstoffe ein. In Europa und den USA wurde das Schulwesen revolutioniert, zwischen 1830 und 1880 lernten die Massen lesen und schreiben. Nun bestimmte Ideologie das Bewusstsein.

Dann im 20. Jahrhundert: Die Energie-Revolution: Elektrizität. Die Kommunikations-Revolution: Eine wahre Kaskade von Erfindungen. Telegraf, Telefon, Kino, Radio, Fernsehen. Der Verbrennungsmotor und die Massenmedien sind wohl die beiden Symbole dieser Ära. Die zweite industrielle Revolution hat das psychologische Bewusstsein hervorgebracht.

Jede Energie- und Kommunikations-Revolution bringt eine Veränderung des Bewusstseins mit sich. Und ich behaupte, dass sich die Empathie-Zone stets erweitert hat. Denn in Gesellschaften der Jäger und Sammler ist die „Reichweite“ eines Menschen durch seine Rufweite begrenzt. Schrift erweitert die Reichweite: In den Agrargesellschaften sehen die Menschen nun in den Andersgläubigen die „Anderen“.

Im Industriezeitalter erweitert sich die Kommunikations-„Reichweite“: nun differenziert man zwischen den Angehörigen der eigenen Nation und „Ausländern“.

Dennoch: was im Moment erleben ist ein Rückschritt: Sie sprechen vom Klimawandel, doch die Zahl der Menschen, die den Klimawandel anzweifeln, steigt – zumindest in den USA. Sie träumen von der Weltgesellschaft, während es gleichzeitig einen populistischen Backlash gegen die Globalisierung gibt.

Rifkin: Stimmt. Es gibt einen populistischen Backlash, einen xenophoben Backlash. Aber es gibt auch gewaltigen Ärger über die globale Wirtschaftselite. Viele Menschen haben das Gefühl, betrogen worden zu sein. Aber ohne Vertrauen kann die Globalisierung nicht funktionieren. Die Globalisierung von oben herab ist gescheitert. Zudem: Die Wirtschaft ist keine primäre Institution, sondern eine sekundäre – das haben einige wohl vergessen. Es gibt kein einziges Beispiel in der Geschichte der Menschheit, wo zuerst der Handel und dann ist die Kultur entstanden wäre. Zuerst entsteht Kultur – denn so stellen wir soziales Vertrauen her, so integrieren wir uns als Individuum in die Gesellschaft. Erst wenn das Vertrauen zwischen den Individuen einer Gesellschaft hergestellt ist, kann der Handel funktionieren. Ohne die Erweiterung der Vertrauensbasis auf globaler Ebene kann die Globalisierung nicht funktionieren.

Wer sagt Ihnen, dass wir nicht auf eine „Mad-Max“-Gesellschaft zusteuern, in der die Menschen in egoistischer Weise in eine Rette-sich-wer-kann-Mentalität verfallen? Wo Nationen sich die schwindenden Ressourcen, die sie brauchen, einfach krallen? Was, wenn ihr Gesellschaftsmodell der empathischen Zivilisation doch nicht Realität wird und die Zukunft von brutalen, blutigen Ressourcenkonflikten bestimmt wird?

Rifkin: In den nächsten drei, vier Generationen wird die Menschheit Gefahr laufen, auszusterben. Es gibt keinen Plan B. Aber es gibt eben die Hoffnung, dass nicht Aggression, sondern Mitgefühl das Bewusstsein des Menschen bestimmt. Dass Kooperation und nicht Konkurrenz unser Denken dominieren wird. Wenn das so ist, dann haben wir eine Chance.

Zur Person

Der amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin (67) ist Gründer und Vorsitzender der Foundation on Economic Trends. Er unterrichtet an der Wharton School der Universität von Pennsylvania und ist Berater diverser Regierungen und auch der EU-Kommission. In Wien stellte er auf Einladung des Kreisky-Forums, der US-Botschaft und des Campus-Verlags sein jüngstes Buch „Die empathische Zivilisation: Wege zu einem globalen Bewusstsein“ vor. Weitere Bestseller waren: „Das Ende der Arbeit“ und „Der Europäische Traum“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2010)

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