Vereidigung: „Die Ukraine dreht sich im Kreis“

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Viktor Janukowitsch ist seit Donnerstag neuer Präsident. Seine Rede zum Amtsantritt ließ Wegweisendes vermissen. Sein Spielraum für tiefgreifende Reformen ist gering.

MOSKAU/KIEW. Demonstrativer könnten die Zerrissenheit der Ukraine und die Feindschaften innerhalb der Elite kaum zutage treten. Nicht nur Premierministerin Julia Timoschenko blieb der gestrigen Inauguration des neuen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Parlament fern. Auch der Großteil der Minister glänzte durch Abwesenheit. Selbst der abgewählte Präsident Viktor Juschtschenko hatte anscheinend Besseres zu tun.

Immerhin riet Juschtschenko seinem früheren Erzkontrahenten und jetzigen Amtsnachfolger bei der Schlüsselübergabe in der Präsidentschaftskanzlei noch, dass sein oberstes Ziel das Wohl des Landes sein müsse: „Die Ukraine – vor allem anderen!“

„Extrem schwierige Lage“

Wie es um das Land steht, ließ Janukowitsch dann in seiner Antrittsrede wissen. Die Protagonisten der Orangen Revolution, die den 59-jährigen Apparatschik aus der Ostukraine 2004 hinwegfegten und fünf Jahre lang vom Staatsruder fernhielten, hätten das Land in den Abgrund gefahren, sagte er: „Im Moment befindet sich die Ukraine in einer extrem schwierigen Situation: kein Staatsbudget, hohe Auslandsschulden, Armut, eine zerrüttete Wirtschaft.“

Janukowitsch versprach nicht nur die Rettung „vor dem sozialökonomischen Kollaps“, sondern auch eine schnelle Wendung zu einem „beschleunigten Wachstum“. In erster Linie brauche es eine handlungsfähige Exekutive und eine Reform im Machtsystem.

In der Tat krankt das Land, dessen Wirtschaft im Vorjahr um 14 Prozent eingebrochen ist, an einer lähmenden Staatsverfassung mit unklaren Kompetenzaufteilungen zwischen Premier und Präsident. Mindestens so sehr aber laboriert es an unklaren Mehrheitsverhältnissen infolge erstarrter Wählerstrukturen.

Mit dem Anspruch, das Land zu einen, ist Janukowitsch zur Wahl angetreten. Seine Antrittsrede lässt manchen ratlos zurück: „Ich weiß nicht, wer ihm die Rede geschrieben hat“, sagt Michail Pogrebinski vom Kiewer Institut für Politische Forschung: „Sie ging jedenfalls daneben. Kein konkretes Signal zur Integration. Kein Appell an jene Bürger, die ihn nicht gewählt haben.“

„Zu wirtschaftlich orientiert“

Auch der Politologe Vitali Bala, bemängelte das „Fehlen einer Botschaft“. Bala: „Ich habe das Gefühl, wir drehen uns im Kreis. Janukowitsch macht den gleichen Fehler wie Juschtschenko vor fünf Jahren.“ Der westlich orientierte Juschtschenko hat es nach der Orangen Revolution verabsäumt, sich gerade an die Bürger im Osten zu wenden. Viele sehen darin einen der Hauptgründe für das Scheitern der nationalen Identitätsfindung. Der russlandfreundliche Janukowitsch hat nun – vice versa – das gleiche Problem der eingeschränkten Legitimität.

„Die Leute haben irgendwelche Aussagen zum Wertekonzept erwartet“, sagt Pogrebinski, früher ein Berater von Janukowitsch: „Nur mit materieller Gesundung wird das Land nicht heilen. Die Rede war zu wirtschaftlich orientiert.“

Aber auch die Details von Janukowitschs ökonomischem Programm bleiben fürs Erste ungenau. Zwar goutieren Ökonomen, dass er in seiner Eröffnungsrede, die auch die Geldgeber des Internationalen Währungsfonds positiv stimmen sollte, die üblichen Forderungen nach interner Stabilität und Korruptionsbekämpfung wiederholte. Da aber die Wirtschaftskompetenzen bei seiner Gegnerin Timoschenko liegen, wird sich Handlungsspielraum für Janukowitsch erst auftun, wenn er seinen eigenen Mann an der Regierungsspitze positioniert haben wird.

Segen des Patriarchen

Das kann dauern. Zumindest bis Juschtschenkos Partei „Unsere Ukraine“ die jetzige Koalition verlässt und zu Janukowitschs Partei der Regionen (PdR) wechselt. Janukowitsch wirbt aktiv. Um bei niemandem anzuecken, tut er das mit Widersprüchen und Unklarheiten. So findet sich im Entwurf der PdR für eine künftige Koalition das Plädoyer für die Neutralität der Ukraine und gleichzeitig das alte Ziel einer strategischen Partnerschaft mit den USA und der EU-Integration. In der Antrittsrede formulierte es Janukowitsch als „Brücke zwischen Ost und West“. Noch vor der Antrittsrede, wohlgemerkt, ließ er sich aber vom Moskauer Patriarchen Kirill segnen. „Das erlauben sich nicht einmal Putin und Medwedjew“, sagte Bala.

AUF EINEN BLICK

Der Vereidigung von Viktor Janukowitsch auf die Verfassung der Ukraine am Donnerstag in Kiew blieben Regierungschefin Julia Timoschenko, zahlreiche Minister und Abgeordnete demonstrativ fern. Dafür kamen viele ausländische Gäste, um zu hören, wie Janukowitsch das Land auf schwierige Zeiten einschwor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2010)

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