Afghanistan: „ Taliban die Bevölkerung streitig machen“

(c) Reuters (Ahmad Masood)
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Der deutsche Afghanistan-Beauftragte Bernd Mützelburg zu den Chancen einer Befriedung des Landes. Grundvoraussetzung sei es, ein Grundvertrauen in der Bevölkerung zu schaffen.

„Die Presse“: Ein Taliban-Führer sagte einmal: „Wir haben, was der Westen nicht hat: Zeit.“ Müssen die Taliban, um zu gewinnen, also nur warten, bis der Westen abzieht?

Bernd Mützelburg: Ich glaube nicht, dass das die Einschätzung der Taliban-Führung ist, aus drei Gründen: Erstens wird ihnen der Boden in Pakistan langsam heiß, sie können sich nicht mehr so auf dieses Rückzugsgebiet verlassen. Zweitens versuchen wir in Gebieten, die wir den Taliban entwendet haben, der Bevölkerung zu zeigen, dass es eine positive Alternative gibt: durch Ausbildung, indem wir versuchen, Jobs zu schaffen, oder durch kleine Infrastrukturprojekte. Drittens versuchen wir in diesen Gebieten mittel- und langfristig Sicherheit zu schaffen, damit die Leute nicht Angst haben müssen, dass der Terror der Taliban wiederkehrt.

Und Sie meinen, das reicht, um die Taliban zu beeindrucken?

Mützelburg: Auch der Taliban-Führung wird klar sein, dass sie keinesfalls nur zu warten braucht, bis ihr Afghanistan wie ein reifer Apfel in den Schoss fällt. Es gibt auch aus Peschawar-Schura und Quetta-Schura (die Führungsspitze der Taliban, Anm.) Signale, sich zumindest auf einen Sondierungsprozess über die Möglichkeit einer politischen Lösung einzulassen. Das würde auch zu einer gewissen Teilhabe der Taliban am demokratischen Prozess führen, freilich unter Respektierung der Verfassung.

Warum sollten die Taliban das tun? Warum sollten sie sich am demokratischen Prozess beteiligen?

Mützelburg: Sie haben keine Alternative. Wenn es gelingt, ein Grundvertrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit der Regierung zu schaffen, jene Güter und Dienstleistungen zu bieten, die das Volk nachfragt, warum sollte dann jemand den Taliban nachlaufen? Es wird bei einigermaßen freien Umfragen immer wieder deutlich, dass die Taliban keineswegs beliebt sind. Ihre eigentliche Waffe ist die Fähigkeit, Furcht und Schrecken zu verbreiten. Wenn die Bevölkerung das Gefühl hat, geschützt zu sein und außerdem noch Lebensperspektiven bekommt, kann kein Taliban-Führer davon ausgehen, dass er eine andere Chance hat, als am demokratischen Prozess teilzunehmen.

Man bietet den Taliban Jobs oder Land an, wenn sie die Waffen niederlegen und der Gewalt abschwören. Muss das auf den Rest der Bevölkerung nicht so wirken, als würde man die Taliban für ihren Aufstand auch noch belohnen?

Mützelburg: Das ist sicher ein Problem. Man muss jetzt aufpassen, dass man nicht nur diese Leute fördert. Es geht ja nicht darum, die Taliban-Kämpfer mit einer Art Handgeld zu versehen. Es geht darum, den ideologischen Fundamentalisten das Wasser abzugraben, in dem sie schwimmen. Ihnen die Bevölkerung streitig zu machen, die bisher nolens volens auf ihrer Seite stand. Es geht darum, Mitläufern eine Option zu bieten. Das macht man, indem man mit den betroffenen Dörfern, den traditionellen Autoritäten oder auch moderaten Mullahs bespricht: Was sind eure Bedürfnisse und Nöte? Und dann gilt es gemeinsame Projekte zu entwickeln. Aber das darf man nicht auf Gegenden beschränken, in denen bisher die Taliban die Kontrolle gehabt haben. Dann entsteht natürlich der Eindruck dass die, die bisher zu den Taliban gehalten haben, belohnt werden.

Österreich wird in Afghanistan nur einen bescheidenen Beitrag bei der Polizeiausbildung leisten. Würden Sie von Österreich als UN-Sicherheitsratsmitglied denn nicht mehr erwarten?

Mützelburg: Jeder Solidarbeitrag ist hochwillkommen, und wir sind dankbar für die österreichische Hilfe, speziell im Polizeibereich. Jeder Staat muss selbst entscheiden, wie viele Mittel er für den Einsatz aufbringen kann. Wir glauben, um nachhaltige Sicherheit zu schaffen, ist das Wichtigste der Aufbau einer Polizei, in die die Bürger Vertrauen haben.

ZUR PERSON

Bernd Mützelburg (66) ist seit einem Jahr der Sonderbeauftragte der deutschen Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan. Zuvor war er deutscher Botschafter in Indien. Am Wochenende nahm er in Baden bei Wien an einer Expertenkonferenz des Liechtenstein Institute der amerikanischen Eliteuniversität Princeton teil. [Auswärtiges Amt]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2010)

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