„Kein Mensch ist auf den Krieg vorbereitet“

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Schlaflosigkeit, Panikattacken, Aggression: Für zehntausende Veteranen in Ex-Jugoslawien ist der Schrecken des Krieges noch nicht vorüber.

Tote hatte der langjährige Rechtsmediziner der Kriminalpolizei im serbischen Novi Sad in seinem Berufsleben schon viele gesehen. Und doch erlebte der heute 61-jährige Kolar seine ungewollte Abkommandierung in den Kroatien-Krieg im nahen Vukovar im Oktober 1991 als Schock. Im Dschungel gebe es „wenigstens Regeln, im Krieg nicht“, umschreibt der Frühpensionist seine traumatischen Erlebnisse während seines zweimonatigen Kriegseinsatzes vor 18 Jahren: „Das, was Menschen einander antun, würden Tiere nie tun.“

In seinem Beruf als Forensiker hatte Kolar jährlich rund 80 Opfer von Verbrechen zu identifizieren. Im Krieg wurde er jedoch in kurzer Zeit plötzlich mit mehr Leichen als während seines ganzen Berufslebens konfrontiert. Kein Mensch könne auf das, was er im Krieg erlebe, vorbereitet sein, so der Serbe: „Ich wusste nicht, was mit mir geschah. Es war wie ein schlechter Film – doch leider Wirklichkeit.“

Als Kolar endlich dem Albtraum von Vukovar entrann und er nach Hause zurückkehrte, war aus dem umgänglichen Beamten ein anderer Mensch geworden. Er litt an Schlaflosigkeit, Apathie und Niedergeschlagenheit. Falls er Schlaf fand, wurde er im Traum von den Gesichtern der verstümmelten und von ihm identifizierten Leichen gequält. Kolar suchte Zuflucht im Alkohol. Die Ärzte diagnostizierten zunächst eine Depression: „Aber eigentlich wusste ich nicht, was mit mir los war. Ich war einfach nicht mehr ich selbst.“

Angst, Kontrolle zu verlieren

Panikattacken, Herzflattern, Flashback-Szenen aus dem Krieg, Ausfälle gegen Angehörige und das beängstigende Gefühl, die Kontrolle über sich zu verlieren, gelten als Symptome der sogenannten „Posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS). Laut einer in Serbien veröffentlichten Regierungsstudie leiden fast alle der 2400 befragten Veteranen an mentalen Problemen und Alkoholismus: 29 Prozent von ihnen haben oder hatten mit PTBS zu kämpfen. Die genaue Zahl der an PTBS leidenden Veteranen sei unbekannt, klagt die Zeitung „Danas“: „Noch immer gibt es in Serbien keine staatliche Institution, die sich um diese Menschen kümmert.“

Fast ein Jahrzehnt währten in den 90er-Jahren die Jugoslawien-Kriege. Das 1999 nach Ende des Kosovo-Kriegs von Therapeuten gegründete Traumazentrum in Novi Sad schätzt die Zahl der Veteranen in Ex-Jugoslawien auf über zwei Millionen.

Nach Ansicht von Miloš Antić, Direktor des Zentrums, drücken sich Staaten wie Serbien nicht nur aus Furcht vor den Kosten davor, sich deren Problemen zu stellen: „Wenn man die Probleme der Veteranen definiert, müsste man auch die Rolle des eigenen Landes im Krieg offen diskutieren.“

„Meine Eltern waren schockiert“

19 Jahre jung war Goran Petrović, als er 1998 als Soldat in den Kosovo beordert wurde. Nach 15 Monaten kehrte er nicht nur mit einem von einem Heckenschützen zerfetzten Brustkorb, sondern auch psychisch völlig aus dem Lot nach Novi Sad zurück. „Ich war alkohol- und medikamentenabhängig, hatte endlose Flashbacks, erlebte alles noch einmal“, berichtet der heutige Kriegsinvalide. Die Eltern seien „schockiert“ über seinen Wandel gewesen. „Glück im Unglück“ habe er gehabt, dass die Ärzte sofort PTBS diagnostizierten, so Goran.

Glück hatte der traumatisierte Heimkehrer tatsächlich, dass kurz zuvor ausgerechnet in seiner Heimatstadt das von engagierten Therapeuten unentgeltlich betriebene Traumazentrum gegründet worden war – es ist bis heute das einzige des Landes. Als einer der Ersten wurde Gordon wie Kolar dort therapeutisch behandelt – und kam von seiner Alkohol- und Tablettensucht los. Beide leiten inzwischen eine der Selbsthilfegruppen des Zentrums.

Regelmäßig füllen spektakuläre Selbstmorde, Amokläufe und blutige Familiendramen von Veteranen nicht nur in Serbien, sondern auch in den Nachbarstaaten die Schlagzeilen der Boulevardpresse.

Von der eigenen Regierung erhalte das in der Region einzigartige Zentrum nur ein „freundliches Lächeln“, berichtet bitter Vladan Beara, einer der Gründer des Novi Sader Zentrums. Belgrader Hinweise auf den Mangel an Mitteln hält er nur für eine „Ausrede“: Manche Amtsträger hätten offenbar „Angst vor einer schonungslosen Konfrontation mit der Kriegsvergangenheit“.

Veteranen als Verlierer

Der Vergangenheit versuchen sich zumindest Veteranen wie Kolar und Goran zu stellen. „Im Krieg hat man keine Zeit nachzudenken, versucht nur seinen Kopf zu retten“, sagt Goran. Im Kampf bewege man sich auf sehr kleinem Raum, habe „eigentlich keine Ahnung, was passiert“, erzählt Kolar.

Auf Seminaren haben sich die beiden Serben mittlerweile mit Schicksalsgenossen aus Kroatien und Bosnien getroffen. Letztendlich hätten die Veteranen überall die gleichen Probleme, lautet die Erkenntnis von Goran. Die Veteranen seien an den Rand gedrückt, das Sagen hätten neureiche Wirtschafts-Tajkune, „die nicht in den Krieg ziehen mussten“: „Egal wo, wir Veteranen haben alle verloren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2010)

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