Ukraine im festen Griff der russischen Machtpolitik

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Moskau will die Ukraine fester an sich binden. Kiews Opposition schäumt. Vor allem das Abkommen über den Verbleib der russischen Schwarzmeerflotte brachte Janukowitsch den Vorwurf ein, das Land zu verkaufen.

Kiew. Nach fünf Jahren der kühlen Distanz scheint das Beziehungspendel zwischen Russland und der Ukraine nun voll in die andere Richtung auszuschlagen. Die beiderseitigen Besuchsaktivitäten jedenfalls haben eine Frequenz erreicht, die über die normalnachbarschaftliche Kontaktpflege auffällig hinausgehen.

Allein Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew, der die Beziehungen zur vorherigen prowestlichen Staatsspitze in der Ukraine höchstpersönlich abgebrochen hatte, traf den neuen ukrainischen Staatschef, Viktor Janukowitsch, seit März bereits gezählte sieben Mal. Am gestrigen regnerischen Montag schließlich fand sein erster offizieller Besuch beim südlichen Nachbarn statt. Der Regen werde das Negative von früher wegspülen, meinte Janukowitsch sichtlich mit Genugtuung, nachdem er mit Medwedjew der Opfer des Zweiten Weltkrieges und der Großen Hungerkatastrophe 1932/33 gedacht hatte: Außerdem habe der Regen laut Janukowitsch immer Geld gebracht.

Hängt davon ab, woher und mit welchen Absichten, meint indes die Opposition. Janukowitsch, dessen politische Basis im russischsprachigen Osten des Landes liegt, hat schon in den dreieinhalb Monaten seit seiner Wahl die Spaltung im Land verschärft, indem er mit Moskau eilig neue Verträge in empfindlichen Fragen aushandelte.

Umstrittenes Flottenabkommen

Vor allem das Abkommen über den Verbleib der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim, das Medwedjew vor drei Wochen in der ukrainischen Stadt Charkow unterzeichnet hatte, brachte Janukowitsch den Vorwurf ein, das Land mit seinen 46 Millionen Einwohnern billig an Russland zu verkaufen. Laut des neuen Vertrags nämlich bleibt die Flotte bis zum Jahr 2042 stationiert, was der finanziell schwer angeschlagenen Ukraine im Gegenzug etwa 30Prozent Preisnachlass beim Einkauf russischen Gases einbringt.

Die Unterzeichnung dieses Vertrages hatte zu Schlägereien im ukrainischen Parlament geführt, und Janukowitschs freundliche Haltung gegenüber Russland insgesamt zu einem Wiedererstarken der Opposition unter Ex-Premierministerin Julia Timoschenko. Diese war Janukowitsch im Februar im Kampf um das Präsidentenamt unterlegen, folglich auch als Regierungschefin abgesetzt worden. Nicht zufällig war die Wiederaufnahme von früheren Ermittlungen gegen Timoschenko knapp vor Medwedjews Besuch wieder angedroht worden.

In Summe unterzeichnet Medwedjew während seines aktuellen Besuchs fünf Verträge, von denen als bedeutendster jener über die lange ungeklärte Grenzziehung ist. Von den übrigen Vereinbarungen scheint nur jene über die von Moldawien abtrünnige und von Moskau geschützte Republik Transnistrien größere Relevanz zu haben. Janukowitschs Vorgänger, Viktor Juschtschenko, hatte Moldawien unterstützt und das benachbarte Transnistrien ökonomisch blockiert.

Dass Medwedjews Besuch in Kiew vom westlich orientierten Teil der Bevölkerung mit Argwohn betrachtet wird, hat weniger mit den aktuellen Verträgen, sondern mit der Angst vor Moskaus umfassendem Gesamtkonzept gegenüber seinem Nachbarstaat zu tun. Schon Russlands Premier Wladimir Putin hatte vor wenigen Wochen die ukrainische Seite damit überrumpelt, dass er die Vereinigung von Vermögenswerten auf dem Atomenergiesektor und im Flugzeugbau avisierte.

Seitenhieb auf Europa

Und in den vergangenen Tagen dominierte in den Schlagzeilen Putins Idee, den russischen Gaskonzern Gazprom mit dem staatlichen ukrainischen Gas- und Ölmonopolisten zu fusionieren. Janukowitsch gab sich zurückhaltend und meinte, dass er dies nur zu gleichen Teilen, sprich „50:50“ zulassen werde, obwohl Gazprom auf dem Markt gut zehnmal mehr wert ist als Naftogaz.

In den vergangenen Jahren war es zwischen beiden Staaten wiederholt zu Gaskonflikten gekommen. Janukowitsch möchte von den Russen erreichen, dass sie auch künftig die Ukraine als Transitland für den Gasexport nach Europa wählen und auf den Bau der geplanten Pipeline South Stream verzichten. Im Unterschied zu den Russen stellt sich Janukowitsch vor, auch die Europäer für ein Konsortium zu gewinnen, das den Transit durch die Ukraine abwickelt. Man möge überlegen, mit wem man sich da einlasse, meinte Medwedjew: Die Europäer müssten zuerst mit ihren eigenen Schwierigkeiten, darunter mit den Euro-Turbulenzen, fertigwerden.

AUF EINEN BLICK

Seit Viktor Janukowitsch Ende Februar ukrainischer Präsident wurde, hat sich das Verhältnis Kiews zu Moskau drastisch verbessert. Die ukrainische Opposition wittert hingegen einen Ausverkauf des Landes. Moskau hat sich etwa das Recht gesichert, dass die russische Schwarzmeerflotte bis 2042 auf der Krim bleiben darf und strebt eine Vereinigung der wichtigsten Gaskonzerne der beiden Länder an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2010)

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