Über Menschenrechte redet Moskau nicht so gern

ueber Menschenrechte redet Moskau
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Weil Europäer und Russen Unterschiedliches voneinander wollen, kommen sie mit gemeinsamen Projekten nicht vom Fleck.

Wenn man hohe EU-Diplomaten fragt, was sie unter der „Partnerschaft für Modernisierung“ verstehen, die auf dem heute beginnenden EU-Russland-Gipfel in Rostow am Don aus der Taufe gehoben werden soll, erhält man die Antwort: Der Rechtsstaat dürfe sich nicht in der Theorie erschöpfen, sondern müsse Praxis werden. Die Union möchte darum helfen, die Korruption zu bekämpfen und den „juristischen Nihilismus“ zu überwinden, den auch Präsident Dmitrij Medwedjew anprangert.

Die russische Interpretation dieser „Partnerschaft“ sieht dagegen so aus: „Technologischer Austausch, gemeinsame Innovationsprojekte sowie Zusammenarbeit im Bereich der Wissenschaft.“ So liest sich das in einem „Factsheet“, das der Kreml von seiner Brüsseler Lobbyingagentur versenden ließ. Die Worte „Menschenrechte“ oder „Justizreform“ finden sich in diesem Papier nicht.

Zwei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion steht eine Verständigung zwischen Russland und der EU im Prinzipiellen aus. Und auch wenn das Verhältnis zwischen den eng verwobenen Wirtschaftspartnern aktuell besser ist als im gesamten abgelaufenen Jahrzehnt, so wird auf einen wegweisenden Durchbruch beim Gipfel dennoch nur gehofft: „Wir hoffen, dass wir jetzt ein Dokument verabschieden können, das die Prinzipien dieser Partnerschaft festlegt“, sagt der EU-Botschafter in Moskau, Fernando Valenzuela.

Eine Geburt der Finanzkrise

Die Modernisierungspartnerschaft, im Vorjahr ausgeheckt, ist eine Geburt der Finanzkrise. Russland, dessen Wirtschaft im Vorjahr um 7,9 Prozent zurückgegangen war, hat den Korrekturbedarf für seine Rohstoffökonomie erkannt. Von Europa, seinem größten Handelspartner, erwartet es Know-how und Investitionen. Europa, das 2009 von seinem drittgrößten Handelspartner um 50 Milliarden Euro mehr importierte als dorthin exportierte, möchte die große Abhängigkeit von russischen Rohstoffen verringern.

Andererseits stößt die Union sich an Russlands protektionistischen Zolltarifen. Geschüttelt von der Eurokrise freilich will die EU auch erwirken, dass Russland, das 41 Prozent seiner 450 Milliarden Dollar Währungsreserven in Euro hält, die Stabilität des Euro nicht etwa unterminiert.

Hat Russlands Zentralbankchef beruhigende Signale ausgesandt, bleibt die Entwicklung der strategischen Partnerschaft doch Zukunftsmusik. Nicht nur die „Modernisierungspartnerschaft“ ist erst zu formieren, seit mittlerweile drei Jahren steht ein neues Partnerschaft- und Kooperationsabkommen (PCA), also ein Grundlagenvertrag, aus, sodass der alte provisorisch verlängert werden musste. Je weniger also weitergeht, umso mehr wird beiderseits der Druck auf das Gegenüber erhöht. Russland tut dies nun mit dem Thema der gegenseitigen Visafreiheit. Genug herumphilosophiert, meinte Vizeaußenminister Alexandr Grushko bei einem Briefing: „Wir wollen über konkrete Bedingungen zu reden beginnen.“

Umstrittene Visa-Abschaffung

Tut Russland so, als läge der Ball bei den Europäern, so sehen die Europäer dies umgekehrt. Derzeit seien die Bedingungen für die Europäer in Russland schlimmer als umgekehrt, erklärt ein EU-Diplomat: Die Europäer nämlich müssen sich zusätzlich zum Visum auch registrieren lassen.

Was die Europäer noch mehr beunruhigt, ist, dass Russlands Außengrenzen etwa nach Asien unzureichend geschützt sind und damit auch andere Staatsbürger nach Europa gelangen könnten. Als Problem käme hinzu, erklärt der Diplomat, dass Russland zwar ein Abkommen über die Rücknahme illegal nach Europa eingereister Personen unterzeichnet habe, sich bei der Umsetzung aber manchmal ziere. „Auf der Ebene der staatlichen Sicherheitsdienste in Russland gibt es Widerstand, die Visapflicht für Europäer abzuschaffen.“ Die EU aber werde die Visapflicht ihrerseits so lange nicht aufheben, bis die Situation im umkämpften Nordkaukasus beruhigt sei.

20.100 russische Bürger suchten 2009 in der EU um Asyl an, fast so viel wie afghanische. Die meisten dürften aus dem Nordkaukasus stammen, vor allem aus Tschetschenien. Die Menschenrechtsverletzungen dort und in anderen Landesteilen trüben das Verhältnis zur EU. 28,1 Prozent der Fälle, die 2009 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landeten, betrafen Russland. 210-mal wurde es von den Straßburger Richtern wegen des Verstoßes gegen zumindest ein Menschenrecht verurteilt. Nur die Türkei wurde öfter gerügt (341 Verurteilungen).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2010)

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