Gaza: Erdogan-Kult und iranische „Hilfe“

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Gaza ErdoganKult iranische bdquoHilfeldquo(c) REUTERS (STRINGER/TURKEY)
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Auch Irans Roter Halbmond will nun Schiffe schicken - womöglich eskortiert von den Revolutionsgarden. Eine Konfrontation mit Israel wäre programmiert. Sie käme Teheran recht.

Istanbul/Teheran. Wenn die Revolutionsgarden des Iran die Ankündigung wahr machen, dann könnte die Erstürmung einer Gaza-Hilfsflotte durch Israel vergangene Woche trotz der neun Toten noch vergleichsweise harmlos wirken: Irans Roter Halbmond will nun ebenfalls zwei Schiffe nach Gaza schicken, um die israelische Blockade des schmalen Küstenstreifens zu durchbrechen.

Eines der Schiffe solle „Geschenke des iranischen Volkes“, das andere Helfer an Bord haben, teilte Abdolrauf Adibzadeh, der Leiter der Organisation, am späten Sonntagabend der iranischen Nachrichtenagentur Irna mit.

Ob die Schiffe bewaffneten Geleitschutz bekommen, stand am Montag noch nicht endgültig fest, es verdichteten sich aber Hinweise, dass die Revolutionsgarden – sie stehen dem Hardliner-Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad nahe – diese Aufgabe übernehmen könnten. Ein Vertreter des religiösen Führers Ali Khamenei hat diese Möglichkeit schon am Sonntag erwähnt. Eine Konfrontation zwischen Israels Armee und den Revolutionsgarden, die auch das iranische Atomprogramm kontrollieren, wäre wohl unausweichlich.

Willkommene Ablenkung

In jedem Fall ist allein die Ankündigung, dass ein Schiff mit iranischen Helfern nach Gaza fährt, eine unverhohlene Herausforderung. Die iranischen Schiffe sollen Ende der Woche Gaza erreichen. Das wäre pünktlich zum Jahrestag der umstrittenen Wiederwahl des iranischen Präsidenten, über die die iranische Gesellschaft noch immer tief gespalten ist. Ahmadinejad könnte also die Aufmerksamkeit davon ablenken.

Gemischte Signale kamen derweil aus der Türkei, jenem Land, aus dem die neun getöteten Palästina-Aktivisten der Gaza-Flottille kamen: Bei einer Pressekonferenz in Istanbul schloss der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Israel auf militärischem Gebiet nicht aus.

Die Türkei hatte zunächst drei gemeinsame Manöver mit Israel abgesagt. Angesichts der gespannten Lage klang nun Davutoğlus Antwort auf die Frage nach der weiteren Zusammenarbeit eher gemäßigt. Es gebe zu den militärischen Abkommen „und dergleichen Themen“ verschiedene Meinungen, sagte der Außenminister. „Wir bewerten weiter.“

Wichtige Militärkooperation

Das Ergebnis werde vom weiteren Verhalten Israels abhängen. Eine volle Normalisierung der Beziehungen werde es nicht geben, bis Israel eine internationale Untersuchung zur Kaperung der Flottille in internationalen Gewässern zulasse. „Sie haben keine Chance, vor dieser Kommission davonzulaufen“, sagte Davutoğlu an die Adresse Israels: „Wir erlauben niemandem, unsere Bürger zu töten.“

Internationale Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung hat Israel zurückgewiesen (siehe untenstehenden Artikel). Dass die Türkei eine Normalisierung immerhin theoretisch in Aussicht stellt, ist aber eine Abschwächung ihrer zunächst harten Haltung: Premier Erdoğan hat gesagt, zwischen den beiden Staaten werde es „nie mehr so sein wie zuvor“.

USA: Unhaltbarer Zustand

Der Türkei liegt indes an der militärischen Kooperation mit Israel. Gerade in den kommenden Wochen wartet man in Ankara auf die Lieferung von israelischen Überwachungsflugzeugen.

Während das Thema in der türkischen Innenpolitik noch „weitergekocht“ wird, versucht die Regierung offenbar im Gegenzug, den außenpolitischen Spielraum, den sie durch ihr resolutes Eintreten für Gaza verloren hat, nicht auf Dauer einzubüßen.

Eine wichtige Rolle kommt in der Sache auch Ägypten zu: US-Vizepräsident Joe Biden nannte die Gaza-Blockade bei seinem Besuch in Kairo am Mittwoch einen „unhaltbaren Zustand“. Offenbar darauf abgestimmt verlautete in Kairo, Ägypten wolle seine Grenze zum Gazastreifen bis auf Weiteres offen lassen, die Blockade habe ihr Ziel verfehlt. Der Übergang Rafah wurde kurz nach dem Zwischenfall auf See geöffnet.

Bizarre Blüten treibt derweil die palästinensische Begeisterung für die Türkei: Eine Familie im Gazastreifen hat ihr Baby nach dem türkischen Premier Erdoğan benannt. Der Bub aus der Stadt Khan Younis soll laut palästinensischen Medien „Rajoub Erdoğan“ heißen.

AUF EINEN BLICK

Die radikal-islamische Hamas
putschte sich im Gazastreifen 2007 an die Macht. In der Folge verhängte Israel eine Blockade über den Küstenstreifen, den es bis zum Sommer 2005 besetzt gehalten hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 8. Juni 2010)

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