USA: Wo Esperanza Hoffnung verheißt

Esperanza Hoffnung verheisst
Esperanza Hoffnung verheisst(c) Joshua Lott
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Die USA schlagen sich mit einer Kontroverse um illegale Immigranten herum. Die hitzige Debatte strahlt vom Grenzland bis hinein in den Mittelwesten. An der mexikanischen Grenze selbst herrscht reger Betrieb.

Auf der Tera-Ranch empfängt Eraclio Parada aufdringliche Fremde schon mal mit dem Schießeisen. Bedrohlich baumelt der Colt im Halfter unterhalb des Unterleibs. Lasso und Sattel sind griffbereit. „Gibt es irgendwelche Probleme?“, fragt der Mittsechziger mit der Baseballkappe und dem lakonisch aggressiven Unterton eines Clint Eastwood. Als Vietnam-Veteran in der Air Force und als Jäger versteht er es, sich selbst zu verteidigen. Schließlich weiß man ja nicht, mit wem man es zu tun bekommt auf der US-Seite im texanisch-mexikanischen Grenzland, in der Nähe von Esperanza. Seinen Nachbarn, erzählt Eraclio, haben die Drogenbanden jenseits des Rio Grande mit Morddrohungen einzuschüchtern versucht. Angst aber verspürt er nicht.

Viele Häuser sind verlassen, Hütten verfallen, die Fensterscheiben des Postamts in Esperanza eingeschlagen – einem recht gottverlorenen Weiler, an dem einzig der Name wie eine Verheißung erscheint. Er vermittelt Hoffnung für die Mittellosen, die im Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten dem „American Dream“ nachjagen. Kaninchen hoppeln Haken schlagend aus dem Gebüsch, Wildschweine queren gemächlich die Straße E 192, auf der unentwegt die Border Patrol patrouilliert – und insbesondere bei Nacht ihre Aktivität noch erhöht.

Die US-Grenzpolizei liegt auf der Lauer nach illegalen Immigranten, sie rumpelt in ihren weißen Jeeps über Feld und Flur. Unvermittelt bricht in der Nähe der Tera-Ranch der braune Grenzwall ab, der sich rund vier Meter hoch entlang des Rio Grande schlängelt – und derzeit insgesamt beinahe ein Drittel der 3140 Kilometer langen US-Grenze zu Mexiko absichert.

Hosen und Blechdosen. Auf seiner Ranch, einem idyllischen Fleck, stößt Parada mitunter auf Hosen oder leere Blechdosen – Hinterlassenschaft der ungewollten Einwanderer aus dem Süden. Im Stich gelassen von ihren Schleusern, den „Coyotes“, undder Gluthitze ausgesetzt, irren sie oft orientierungslos im abweisenden Berg- und Wüstenland herum. Dutzende sterben jährlich auf der Flucht. Die „Samaritanos“ haben allerdings Erbarmen mit den Wirtschaftsflüchlingen. Die karitative Organisation hat Wasser- und Nahrungsdepots angelegt und auch Landkarten hinterlegt.

Als Zeichen ihrer patriotischen Gesinnung steckt am Briefkasten der Paradas ein US-Fähnchen. Mit seiner Frau spricht Eraclio aber Spanisch, obwohl beide bereits seit mehreren Generationen in den USA verwurzelt sind. Die Beamten der Border Patrol, die Jagd auf die Eindringlinge machen, tragen Namen wie López, Castro oder Rodríguez. Die heftig aufgeflammte Debatte über illegale Immigration in dem Land, das sich so viel auf seine Tradition als Auffangbecken für Einwanderer aus aller Welt zugute hält, ist voller Widersprüche. Ausgehend von der Kontroverse über ein Einwanderergesetz in Arizona, strahlt der Disput von den Grenzstaaten in den Mittelwesten und an die Küsten aus.

Im Mormonenstaat Utah kursieren mittlerweile Listen mit detaillierten Angaben über illegale Immigranten. Von den Republikanern dominierte Staaten wie Oklahoma und South Carolina eifern den Gesetzeshütern von Arizona nach, Kommunen in Nebraska und anderswo haben ihre eigenen Vorschriften gegen die Beschäftigung der Armada von Desperados aus dem Süden erlassen, ohne die die Schattenwirtschaft indes kollabieren würde. Wie der Grenzzaun, der die Erste Welt von der Dritten Welt trennt, zieht sich ein Riss durch die USA: hier die Demokraten, die Liberalen, die Bürgerrechtsgruppen und die Hispanics; dort die Republikaner, die ultrakonservativen Verfassungsfanatiker der Tea-Party-Bewegung – unter die sich auch Rassisten mischen –, die Verfechter von Recht und Ordnung und diejenigen, die um ihre Jobs bangen, viele Arbeitsmöglichkeiten jedoch gar nicht annehmen würden. Als Wahlkampfthema treibt die Einwanderungsfrage die Fronten noch weiter auseinander.

Erste Verteidigungslinie. Die Regierung in Washington hat unterdessen Klage gegen das Gesetz in Arizona eingereicht, weil es gegen die Verfassung verstoße. Präsident Barack Obama bezeichnete das Immigrationssystem als „bankrott“, für eine überfällige Reform fehlt ihm freilich die Mehrheit. Derweil versucht er nach Kräften, die Löcher zu stopfen und es allen Seiten recht zu machen. Er hat 1200 Soldaten der Nationalgarde als Unterstützung an die mexikanische Grenze beordert und das Personal der Border Patrol um 1000 Beamte auf 21.000 aufgestockt. Um eine lückenlose Kontrolle zu gewährleisten, würde es nach Meinung von Experten jedoch mindestens das Doppelte des Kontingents erfordern.

Auf den Highways und abseits der Landstraßen zeigt die Grenzpolizei in Arizona dennoch ziemlich massive Präsenz. Die an der Grenze aufgefädelten hochmodernen Stationen der Border Patrol muten wie Bollwerke an. In einem gekühlten Raum des Hauptquartiers der Grenzpolizei in Tucson in der Nähe des Flughafens zieht Omar Candelaria ein Fazit über die Arbeit der Truppe. „Wir sind die erste Verteidigungslinie“, bemüht er eine Metapher aus der Football-Sprache. „Wir schnappen zu, bevor die Illegalen in den Städten Unterschlupf finden.“

Nach dem Ausbau des Grenzschutzes in Texas und Kalifornien zählt der Grenzabschnitt Tucson in Arizona wegen seiner günstigen topographischen Lage zu den Brennpunkten für den Menschen- und Drogenschmuggel aus Mexiko und den Waffenschmuggel aus den USA. Immigration wie Kriminalität seien in den letzten Jahren signifikant zurückgegangen, resümiert der Offizier, der aus Puerto Rico stammt. „Wir sind effizienter geworden. Doch es liegt sicher auch an der schlechten Wirtschaftslage hier.“

Die Grenzpolizei greife Einwanderer aus Guatemala, Nahost, Afrika, China und aus Usbekistan auf, berichtet Candelaria. Es seien Undercover-Agenten im Einsatz. Inzwischen sei die Border Patrol mit Drohnen, Sensoren und Röntgen- und GPS-Geräten technologisch auf dem letzten Stand der Dinge – gerüstet für einen Kampf, der sich in der Luft und im Untergrund abspielt. „Die Schmuggler operieren mit Drachen, sie graben Tunnel.“

Familiäre Bande. Am Grenzbalken der Städte Douglas und Nogales herrscht reger Betrieb. Mexikaner schleppen Ventilatoren heran, Amerikaner Zigaretten und Spirituosen. Und manche schmuggeln im Autotank Marihuana und Heroin. Zigtausende Menschen überqueren hier täglich die Grenze zum Verwandtenbesuch oder zur Arbeit, Dutzende US-Beamte tummeln sich am Kontrollposten und hantieren mit Spiegeln, um den Schmugglern auf die Schliche zu kommen.

Es bestünden enge familiäre Bande, weiß Oscar de la Torna, der mexikanische Konsul in Douglas. Rund 90Prozent der US-Bewohner an der Grenze seien Hispanics, 70 Prozent des Wirtschaftsaufkommens stammen aus Mexiko, schätzt er. Statt von „Illegalen“ spricht er von „Menschen ohne Dokumente“, von Bewegungsfreiheit und vom legitimen Wunsch nach einem besseren Leben. „Wie sollen wir sie daran hindern, wenn sie jenseits der Grenze das Zehnfache verdienen?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2010)

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