Drašković: "Brauchen beste Beziehungen zu Kosovo"

Vuk Drašković:
Vuk Drašković: "Belgrad und Prishtina sind nirgendwo"Früherer serbischer Außenminister Vuk Drašković (c) AP (Darko Vojinovic)
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Der Literat und frühere serbische Außenminister Vuk Drašković verlangt im, "Presse"-Interview ein Ende der serbischen Blockadepolitik gegenüber Prishtina. Eine Anerkennung des Kosovo sei aber nicht drängend.

Wien. Ist die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 mit internationalem Recht vereinbar? Zu dieser Frage soll der Internationale Gerichtshof in Den Haag am Donnerstag sein mit Spannung erwartetes Rechtsgutachten abgeben. Der Gerichtshof war von Serbien, das die Eigenstaatlichkeit des Kosovo nicht akzeptiert, angerufen worden. Beobachter meinen, das Gutachten Den Haags werde eher neutral ausfallen und sowohl von Serbien als auch vom Kosovo als Erfolg gefeiert werden. Ein Ende der Blockade zwischen Belgrad und Prishtina ist nicht zu erwarten. Genau das fordert aber Serbiens Ex-Außenminister Drašković.


Die Presse: Die Lage zwischen Serbien und dem Kosovo ist völlig verfahren. Wo ist der Ausweg?

Vuk Drašković: Das ist eine Dostojewski-Situation – ein Thema für exzellente Schriftsteller, für die Literatur, nicht für das wahre Leben: Der Kosovo hat die Unabhängigkeit erklärt, Serbien weigert sich, diese anzuerkennen. Es gibt keine serbische Souveränität über Kosovo, es gibt dort keine Institutionen oder Symbole des serbischen Staates mehr. Zugleich ist der Kosovo gemäß UN-Resolution 1244 Teil Serbiens. Wenn wir in Serbien sagen, wir wollen die Souveränität über den Kosovo behalten, bedeutet das, wir wollen etwas behalten, was wir gar nicht haben. Die Kosovo-Albaner akzeptieren Serbien nicht als ihren Staat. Zugleich akzeptiert Serbien die Albaner nicht als seine Bürger. Wie kann man eine Lösung für die Gleichung: der Kosovo ist Teil Serbiens, aber die Kosovo-Albaner sind keine Bürger Serbiens, finden? Man kann ja 1,5 Millionen Menschen nicht dazu zwingen, einen zu umarmen.


Die Presse: Und was wäre eine Lösung?

Drašković:
Ich schlug damals als Außenminister die Formel vor: ein Serbien, zwei Systeme – wie China und Taiwan. Kosovo muss von der albanischen Mehrheit unabhängig von Belgrad regiert werden: mit der Verpflichtung, die Rechte der Serben zu respektieren und ihre religiösen und kulturellen Schätze zu schützen. Das wurde abgelehnt. Und jetzt sind Belgrad und Prishtina nirgendwo.


Die Presse: Wie soll es jetzt weitergehen?

Drašković:
Wir müssen die bestmöglichen Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo etablieren: Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, Reisebeziehungen. Länder, die den Kosovo als Staat anerkennen, nennen das Nachbarschaftsbeziehungen. Viele in Belgrad reagieren darauf beleidigt und sagen: Der Kosovo ist kein Nachbar, sondern Teil Serbiens. Aber wir müssen weise sein. Gut: Der Kosovo ist Teil Serbiens. Gerade deshalb wollen und müssen wir auch die besten Beziehungen Serbiens zu einem Teil Serbiens etablieren. Den Kosovo als unabhängigen Staat anzuerkennen, ist dabei für Serbien nicht drängend. Auch zwei deutsche Staaten haben lange nebeneinander existiert. Es ist nicht wichtig, ob man eine Katze Tiger oder Katze nennt. Wichtig ist, dass sie Mäuse fängt.


Die Presse: Das hieße aber, dass Serbien seine Politik ändert und die jetzige Blockade gegenüber Kosovo aufgibt.

Drašković:
Was ist heute serbischer nationaler Patriotismus? Die Realität zu ignorieren oder zu respektieren? Das Kosovo-Desaster als Basis für ein Desaster des Restes von Serbien zu nutzen? Oder ein neues europäisches Serbien zu bauen, das unter dem Schirm Europas in den Kosovo zurückkehren wird? Nicht mit Gewalt und Polizei, sondern mit Kultur, Demokratie, Handel, Investitionen, Versöhnung. Ich bin für diesen Weg.

Die Presse: Aber denken Sie, dass Serbien und die anderen Balkanstaaten bei der Erweiterungsmüdigkeit in der EU überhaupt noch der Europäischen Union beitreten dürfen?

Drašković:
Ich bin optimistisch. Der Westbalkan wird bald eine Subunion der EU sein – mit Dingen wie Freihandel und Reisefreiheit. Die Beziehungen zwischen Serbien und Kroatien werden immer besser. Und gute serbisch-kroatische Beziehungen sind das Fundament für Versöhnung und die Stabilisierung von Bosnien und Herzegowina und der gesamten Region. Österreich kommt eine wichtige historische Rolle in der Europäischen Union und auf dem Balkan zu. Die österreichisch-ungarische Monarchie war eine gut organisierte EU, aber zu einer falschen Zeit. Wien kennt den Balkan wie seine eigene Westentasche, wurde über Jahrhunderte von ihm beeinflusst und hat ihn beeinflusst. Unsere ersten Professoren, Philosophen, Mediziner, Armeeoffiziere wurden damals in Österreich und Deutschland ausgebildet, in Wien oder etwa in Heidelberg. Und auch heute gehen die besten Studenten aus Serbien wieder an Universitäten in Deutschland und Österreich.


Die Presse: Wie geht es mit Ihrer politischen Karriere weiter, oder ist die beendet?

Drašković:
Politisch habe ich meine Novelle noch nicht beendet. Serbien ist noch nicht in der EU. Ich habe Angst, dass es wieder rückwärts geht. Deshalb bin ich noch immer politisch engagiert, obwohl ich schreiben will, schreiben und nochmals schreiben.


Die Presse: Sie haben neulich in Wien Ihr neues Buch vorgestellt. Wovon handelt es?

Drašković:
Die Novelle spielt in den Monaten vor Titos Tod und handelt von Doktor Aron – einem serbischen Wissenschaftler auf der Suche nach den Gesetzen des Universums. Eines Tages wird er von einem jungen US-Soldaten besucht, der behauptet, eine serbischer Soldat im Ersten Weltkrieg gewesen zu sein. Die US-Armee hält den Soldaten für verrückt. Doch Doktor Aron verspricht, ihm zu helfen. Er nützt ein Medikament und die Schnelligkeit seines Geistes, um in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückzureisen und das Rätsel zu lösen. Auch Jugoslawiens politische Elite wendet sich an Aron und will wissen, was nach Titos Tod geschieht. Doch Aron weigert sich, darüber zu sprechen. Denn er sagt, diese Frage sei nicht von Bedeutung.

("Die Presse" Printausgabe vom 21. Juli 2010)

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