Experte: Kosovo-Gutachten Signal für Palästinenser

ARCHIV - Kosovo Albaner schwenken am 17. Februar 2008 bei einer Kundgebung in Pristina Fahnen. Die ei
ARCHIV - Kosovo Albaner schwenken am 17. Februar 2008 bei einer Kundgebung in Pristina Fahnen. Die ei(c) AP (Visar Kryeziu)
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Der Grazer Verfassungsrechtler Joseph Marko sieht in dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes ein "Handbuch für andere Regionen, wie man es richtig macht".

Das jüngste Gutachten des Haager Internationalen Gerichtshofes (IGH) zur Kosovo-Unabhängigkeit könnte nach Ansicht des Grazer Verfassungsrechtlers Joseph Marko im Nahen Osten ein "politisches Signal" für die Palästinenser sein, die staatliche Unabhängigkeit auszurufen und Israel noch stärker unter politischen Verhandlungsdruck zu setzen. Durch die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates sei klar, dass die Palästinenser ein Recht auf einen eigenen Staat haben, sagte Marko in einem Interview mit der Wiener Tageszeitung "Der Standard" (Wochenendausgabe). Dies sei daher ein ganz anderer politischer Kontext als beim Kosovo.

Der palästinensische Premierminister Salam Fayyad hat die Staatsausrufung für 2011 auch ohne vorherigen Friedensvertrag angekündigt. Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman hat für einen solchen Fall gedroht, dass Israel Teile des Westjordanlands annektieren und bestehende Friedensverträge "annullieren" könnte. Der sechzig Prozent der Fläche des Westjordanlandes umfassende sogenannte "Sektor C" steht vollständig unter israelischer Militärkontrolle.

"Vom Kaukasus bis Tibet"


In dem IGH-Gutachten sieht der an der Karl-Franzens-Universität lehrende Jurist und frühere Richter am Verfassungsgericht von Bosnien-Herzegowina "ein Handbuch für andere Regionen, wie man es richtig macht, vom Kaukasus bis nach Tibet." Es unterstütze vordergründig Separatisten, "weil der Unterschied zwischen nationalem und politischen Selbstbestimmungsrecht in der öffentlichen Diskussion nicht klar ist." Im Kaukasus könnte es dazu führen, dass "unter der Prämisse des nationalen Selbstbestimmungsrechts eine ethnische Mobilisierung stattfindet und gewaltsame Konflikte heraufbeschworen werden."

"Der Gerichtshof trennt die Unabhängigkeitserklärung von der Entstehung des unabhängigen Kosovo. Er geht nicht auf das Recht auf Selbstbestimmung ein oder ob die Anerkennungspraxis völkerrechtswidrig war, sondern versucht zu klären, ob eine politische Unabhängigkeitserklärung völkerrechtswidrig ist. Er kommt zum Schluss, dass der UN-Sicherheitsrat nicht generell einseitige Unabhängigkeitserklärungen verurteilt und es daher kein generelles Verbot gibt", sagt Marko, der das Kompetenzzentrum für Südosteuropa an der Grazer Universität leitet.

"Riesenerfolg für Serbien"


Wenn der IGH festgestellt habe, dass die Kosovo-Unabhängigkeitserklärung nicht gegen die UN-Resolution 1244 verstößt, dann heiße das, dass diese noch in Kraft ist, wodurch indirekt gesagt werde, dass "der Kosovo noch keineswegs ein unabhängiger Staat ist und es weiterer Statusverhandlungen bedarf. Insofern ist das ein Riesenerfolg für Serbien."

Hinsichtlich einer angedrohten Sezession der bosnischen Serben betonte Marko, dass das Selbstbestimmungsrecht nur ausgeübt werden dürfe, wenn eine Regierung nicht die gesamte Bevölkerung repräsentiert, "aber gerade das können die Serben der Republika Srpska auf keinen Fall behaupten, nachdem sie in der Verfassung als konstitutives Volk anerkannt und in allen Organen proportional repräsentiert sind". Auch die Katalanen hätten kein Recht auf Selbstbestimmung. "Aber die Spanier haben Angst, dass sie mit rechtlichen Argumenten die politischen Tatsachen nicht stoppen können."

Auf die Frage, ob eine EU-Mitgliedschaft Kosovos ohne Anerkennung durch Serbien möglich wäre, sagte Marko: "Es gibt einen Präzedenzfall. Die EU hat noch während des Bestehens der Staatenunion Serbien und Montenegro begonnen, mit Montenegro separate Verhandlungen zu führen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sie dies mit Serbien und Kosovo trotz der ungeklärten Statusfrage tut."

(Ag.)

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