Bundesbank wirft Thilo Sarrazin raus

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Mit seinen Äußerungen über muslimische Zuwanderer und das angebliche Erbgut von Juden hat es Vorstandsmitglied Sarrazin diesmal zu weit getrieben. Auch die SPD möchte ihn möglichst schnell loswerden.

Berlin. Es war ein Paukenschlag am Donnerstag kurz vor 17 Uhr und zugleich eine Premiere: Die deutsche Bundesbank hat sich nach mehrtägigem Zögern entschlossen, sich von ihrem umstrittenen Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin (65) zu trennen. Der Vorstand habe Bundespräsident Christian Wulff um die Abberufung Sarrazins gebeten, teilte die Notenbank in Frankfurt mit. Der Beschluss sei einstimmig getroffen worden. Auch der Ethik-Beauftragte der Deutschen Bundesbank, Uwe Schneider, unterstütze diesen Antrag uneingeschränkt.

Sarrazin sah sich bereits seit Tagen wegen seiner umstrittenen Thesen zur mangelnden Integration von Ausländern mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Zudem sorgte er mit Interview-Äußerungen für Empörung, Juden teilten ein „bestimmtes Gen“. Wulff selbst hat der Bundesbank bereits indirekt die Trennung von Sarrazin nahe gelegt. Die Bundesbank kann die Abberufung nur beantragen, die Entscheidung liegt beim Bundespräsidenten. Und was der von der Sache hält, machte er zuletzt in einem Interview mit „N24“ relativ klar: „Ich glaube, dass jetzt der Vorstand der Deutschen Bundesbank schon einiges tun kann, damit die Diskussion Deutschland nicht schadet.“

Enormer politischer Druck

Die Entlassung eines Vorstandsmitglieds ist nur möglich, wenn dieses die Voraussetzungen zur Ausübung seiner Tätigkeit nicht mehr erfüllt, etwa aus gesundheitlichen Gründen oder bei einer schweren Verfehlung, die allerdings nicht klar definiert ist. Vor Wulff hatten Politiker aller Parteien und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Druck auf die Bundesbank ausgeübt, sich von Sarrazin zu trennen. Deren Chef Axel Weber konnte sich keinen Fehler leisten, zumal ihm Ambitionen auf die Nachfolge von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet nachgesagt werden. Auch dieser distanzierte sich am Donnerstag deutlich von Sarrazin: „Als Bürger finde ich die Aussagen abstoßend“, sagte der Chef der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.

Mit seinem neuen Buch „Deutschland schafft sich ab“, dessen Erscheinen von Interviews und Fernsehauftritten begleitet wird, ist es Sarrazin gelungen, die deutsche Bevölkerung zu polarisieren und das Thema vorzugeben. Während sich Elite, Politik und Medien einhellig über Sarrazin empören, der offensichtlich kurz vor der Abberufung steht, finden seine Thesen in der Bevölkerung durchaus Zuspruch. In öffentlichen wie privaten Debatten gibt es derzeit kaum ein anderes Thema; wann immer man das Fernsehgerät einschaltet, sitzt der nuschelnde Sarrazin auf dem Podium. Rhetorisch eher unbedarft – kein Satz ohne zahllose „also“ –, scheint er doch einen Nerv getroffen zu haben.

Dies belegen (Fernseh-)Umfragen sowie E-Mails und Anrufe von Zuschauern, in denen viel Sympathie für Sarrazin bekundet wird. So sagten etwa bei einer Telefonumfrage des Senders n-tv 95 Prozent, er sei mit seinen Aussagen nicht zu weit gegangen und habe das Ansehen der Bundesbank nicht beschädigt. 51 Prozent erklärten bei einer Befragung durch Emnid, es bestehe keine Notwendigkeit für Sarrazins Entlassung aus dem Führungsgremium der Notenbank. Und immerhin 56 Prozent machen die Migranten selbst für ihre Integrationsprobleme verantwortlich.

Zustimmung in der Bevölkerung

„Die Leute differenzieren nicht zwischen den einzelnen Aussagen, sie bewerten die Tatsache, dass Sarrazin das Problem angesprochen hat“, erklärt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Nach seinen Erhebungen teilen 46 Prozent der Bevölkerung Sarrazins Furcht, dass die Deutschen immer mehr zu Fremden im eigenen Land werden. Es handle sich um Ängste aufgrund des Alltagserlebens, wie Ghettobildung, Gewalt an Schulen.

Güllner wirft der Politik vor, „dass sie die Probleme, die die Menschen sehen, nicht adäquat anspricht, sondern einfach wegdrückt“. Und sprachlich beschönigt: Allenfalls würden „Integrationsgipfel“ veranstaltet, man spreche von „Menschen mit Migrationshintergrund“ statt von Ausländern, „aber das Kind in der Schule wird nicht mit schönen Worten beschimpft“. Auch konkret bei der SPD hätten die Bürger nicht das Gefühl, dass sich diese um ihre Sorgen und Nöte kümmere. „Wenn die SPD zugleich soviel Energie, bis hin zur Spitze, auf das Ausschlussverfahren gegen Sarrazin verwendet, können das die Leute nicht nachvollziehen.“ Die Partei tue sich damit nichts Gutes.

Generell bestehe die Gefahr, dass das Vertrauensvakuum, das die großen Parteien hinterlassen, von Rechtsradikalen genützt werde. „Das rechtsradikale Potenzial liegt latent bei zehn bis 14 Prozent“, so Güllner, „zum Glück haben wir in Deutschland bisher keinen Haider gehabt.“ Sarrazin sei jedenfalls „nicht die Figur, die das rechtspopulistische Milieu versammeln könnte“.

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Der Volkswirt als Provokateur

Sarrazin gehört dem Bundesbank-Vorstand seit dem 1.Mai 2009 an, seine Amtszeit sollte bis 2014 dauern. Ursprünglich hatten ihn die SPD-geführten Länder Berlin und Brandenburg als Vorstand nominiert, die Union segnete den Kandidaten ab. Seit Langem wehrt sich die Bundesbank erfolglos gegen die politische Besetzung ihrer Führungsspitze. Zuvor war der Volkswirt Sarrazin, der seine Karriere 1975 im Finanzministerium begonnen hatte, Finanzsenator von Berlin und setzte gemeinsam mit Bürgermeister Klaus Wowereit einen drastischen Sparkurs durch. Wiederholt hat Sarrazin bereits für Aufsehen gesorgt, etwa mit Äußerungen über faule Hartz-IV-Empfänger oder mangelnde Integrationsbemühungen türkisch- und arabischsprachiger Menschen und die „Produktion neuer Kopftuchmädchen“.

AUF EINEN BLICK

Einstimmig beschloss der Vorstand der Bundesbank am Donnerstag, bei Bundespräsident Christian Wulff die Abberufung seines Mitglieds Thilo Sarrazin zu beantragen. Der Vorgang ist in der Geschichte der Bundesbank einmalig. Sarrazin war wegen seiner diskriminierenden Äußerungen zu muslimischen Zuwanderern und einem angeblichen „bestimmten Gen“ bei Juden in die Kritik geraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2010)

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