Warum die Roma-Hilfe nicht ankommt

Roma
Roma(c) AP
  • Drucken

Die EU hat in den vergangenen Jahren Hunderte Millionen Euro für die Integration der Roma ausgegeben. Dennoch ist wenig von Verbesserungen zu spüren. Im Roma-Viertel Fakulteta scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Im Roma-Viertel Fakulteta in der bulgarischen Hauptstadt Sofia scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Wie eh und je reihen sich hier wackelige Hütten aneinander, zwischen ihnen führen ungepflasterte Wege. Es riecht nach Abfall und Verbranntem.

Im Jahr 2010, zur Halbzeit des 2005 international ausgerufenen „Jahrzehnts der Romaintegration“ und drei Jahre nach Bulgariens EU-Beitritt, ist nicht viel davon zu merken, dass die – mindestens 650.000 Menschen zählende – Roma-Minderheit der bulgarischen Gesellschaft einen Schritt näher gekommen wäre. Auch ein Blick in die Statistik zeigt: Noch immer sind Roma überdurchschnittlich hoch von Arbeitslosigkeit betroffen; sie leben in größtenteils in abgegrenzten Siedlungen, oft ohne Kanalisation; Uni-Abschlüsse in Romafamilien sind Mangelware.

Dabei hat die EU, haben internationale Organisationen in den vergangenen Jahren Millionen Euro für die Integration der geschätzten zehn bis zwölf Millionen europäischen Roma aufgewendet, die größtenteils in den neuen ostmitteleuropäischen Mitgliedstaaten leben. Wieso die Finanzhilfen bisher so wenig verbessert haben, hat indes mehrere Gründe:
Falsche Stellvertreter. Viele Maßnahmen erreichen die Bedürftigen nicht. Roma-Communities selbst verfügen oft nicht über das nötige Know-how, um sich für (nationale oder EU-geförderte) Projekte zu bewerben. Die Folge: Stellvertreter-Organisationen, oft meilenweit von den Wohnorten der Betroffenen entfernt, übernehmen dies. Viel Geld fließt in Broschüren und Berichte, Seminare werden für „NGO-Experten“ abgehalten.

Apropos Experten: Roma, die selbst einen sozialen Aufstieg hingelegt haben und sich für ihre Community engagieren, haben es oft schwer. Eine rumänische Trainerin berichtet davon, dass die Akzeptanz in den Roma-Gemeinschaften für Aufsteiger fehle. „Sie werden nicht mehr einer der ihren angesehen.“

Unkoordinierte Hilfe. Während die Problemlage der Roma sehr komplex ist, widmen sich die Projekte meist nur einem Bereich – und das für eine beschränkte Zeitdauer.

Auch wurde in der Vergangenheit Geld für falsche Hilfsmaßnahmen ausgegeben. In Bulgarien stellte man in Roma-Siedlungen etwa fertige Häuser auf – ohne die Betroffenen zu fragen, wie und wo sie tatsächlich wohnen wollen. Die schmucken Heime waren oft nach ein paar Monaten ausgeweidet (die arbeitslosen Bewohner verkauften alles, was sich abmontieren ließ), unter Nicht-Roma erregte die gut gemeinte Gabe Neid.

Staatliche Fehlplanung. Auf staatlicher Ebene mangle es in den neuen Mitgliedstaaten an umfassenden Programmen, kritisiert Robert Kushen, Direktor des European Roma Rights Center (ERRC), einer in Budapest ansässigen Lobby-Organisation: „Die Mitgliedstaaten haben keine umfassenden Integrationsstrategien erlassen. Daher zeigt das EU-Geld, stückchenweise verwendet, wenig Wirkung.“

Beispiel Rumänien: Dort gab es von 2001 bis 2010 zwar ein Roma-Regierungsprogramm; auch wurde ein eigene, staatliche Roma-Behörde installiert. Nichtregierungsorganisatonen (NGOs) wie „Romani Criss“ kritisieren allerdings, dass einige Punkte auf der langen Liste nicht umgesetzt wurden. „Die Lokalbehörden unterstützten die Strategie nicht“, sagt Cezare David von Romani Criss. Außerdem: „Die rumänische Regierung hat wenig Geld gegeben. Das meiste Geld kam von außen – und das hat die Effizienz beeinträchtigt.“ Auch wurde ein unabhängiges Monitoring durch die NGOs verunmöglicht, kritisiert David.

EU-Förderdickicht. Ähnlich gelagerte Probleme gibt es auch auf gesamteuropäischer Ebene. Wie viel Geld die EU in den vergangenen Jahren für die Romaintegraton aufgewendet hat, weiß auch Robert Kushen vom Roma Rights Center nicht – „und ich bezweifle, dass die EU es weiß“, sagt er.Sicher ist: Wenig Geld war es nicht.

Schon vor ihrem Beitritt erhielten etwa die EU-Kandidaten Bulgarien und Rumänien umfangreiche Hilfen: Von 1993 bis 2001 wurden im Rahmen des Phare-Infrastruktur-Programms an beide Länder knapp 23 Mio. Euro ausgezahlt. Seit dem EU-Beitritt sind die Geldmengen noch um einiges gestiegen. Der Europäische Sozialfonds gab von 2000 bis 2006 insgesamt 275 Mio. Euro für Roma-Integration aus. Und für die Jahre 2007-2013 hat er zwölf östlichen Mitgliedsländern insgesamt 13,3 Milliarden Euro für Romaprojekte zur Verfügung gestellt.

Der Grund für das Förderdickicht: Es gibt keinen speziellen Roma-Fonds, die Roma-Hilfe kommt aus vielen verschiedenen EU-Töpfen. Oft zielen diese auf die Verbesserung von Lebensverhältnissen benachteiligter Gruppen – darunter die Roma. Größte Geldgeber in Europa sind Sozialfonds und der Fonds für Regionalentwicklung. Kritiker wie die ungarische Abgeordnete Lívia Járóka, selbst Roma-Angehörige, bemängeln schon länger die fehlende Kontrolle: „Wir wissen nicht, was mit dem Geld passiert ist.“

Eine koordinierte EU-Roma-Strategie sei daher dringend erforderlich, sagt Robert Kushen vom Budapester ERRC. „Die EU kann den Rahmen, Druck und die Ressourcen bieten, um gegen die Probleme anzugehen.“ Dennoch will er die Mitgliedsländer nicht aus der Verantwortung entlassen: „Sie sind verantwortlich für die Hilfsgelder, für die Entwicklung von politischen Strategien und Programmen für diese Ausgaben.“

LEXIKON

Roma in Osteuropa. Die Mehrzahl der zehn bis zwölf Mio. europäischen Roma lebt in Ostmitteleuropa, v.a. in Bulgarien, Rumänien, der Slowakei und Ungarn. Probleme: hohe Arbeitslosigkeit (in manchen Gebieten bis zu 80%) und Analphabetenrate, erhöhte Kindersterblichkeit, kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung. Viele Roma leben zudem in abgegrenzten Vierteln – ohne Kanalisation und Müllabfuhr.

Dekade der Roma-Integration. Zwölf (mehrheitlich ost-) europäische Länder nehmen an der Aktion teil, die u.a. von Weltbank und den Vereinten Nationen unterstützt wird. Ziel ist die Verbesserung der Lebensbedingungen der Roma.
Überblick im Internet unter:

www.romadecade.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Frankreich: Parlament erleichtert Roma-Abschiebung
Außenpolitik

Frankreich: Parlament erleichtert Roma-Abschiebung

Das französische Parlament segnet die umstrittenen Maßnahmen zur Erleichterung der Abschiebung von Ausländern ab. "Graue Hochzeiten" werden hart bestraft.
Mauern Roma bdquoschuetzenldquo sollen
Außenpolitik

Wo Mauern vor Roma „schützen“ sollen

Im Osten der Slowakei werden Absperrungen zwischen Mehrheit und Minderheit gebaut. Doch auch manche Roma grenzen sich von "Problemfamilien" ab. Sie stört es, dass alle Roma "in einen Topf" geworfen werden.
Europa

Roma-Abschiebung: Frankreich fühlt sich freigesprochen

Paris sieht im abgemilderten Verfahren der EU-Kommission zur Roma-Abschiebung eine Bestätigung der eigenen Linie.
Sarkozy
Europa

EU geht vor Sarkozy in die Knie

Die EU-Kommission leitet wegen Vertragsbruchs nur ein abgemildertes Verfahren gegen Paris ein. Justizkommissarin Viviane Reding muss auf Druck von Frankreich die Diskriminierung von Roma ungestraft lassen.
Leitartikel

Die EU riskiert ihre Glaubwürdigkeit

Brüssel hat das Verfahren gegen Paris abgeschwächt und damit europäische Grundprinzipien gebrochen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.