Die neue Ära der globalen Hungerkrisen

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neue aera globalen Hungerkrisen(c) REUTERS (DAMIR SAGOLJ)
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925 Millionen Menschen hungern – so viel wie die Bevölkerung der USA, der EU und Japans. Schuld an der Krise ist vor allem ein Mangel an politischem Willen und Zahlungsmoral.

[wien] 925 Millionen Menschen hungern dieses Jahr. 925 Millionen: Das entspricht der Bevölkerung der USA, der EU und Japans zusammen. Diese Zahl ist zwar etwas niedriger als im Vorjahr (2009 überstieg die Zahl der hungernden Menschen nach der Wirtschaftskrise erstmals die Ein-Milliarden-Grenze), doch noch immer stirbt alle sechs Sekunden ein Kind an Unterernährung. Um die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Hunger zu verbessern, trafen diese Woche Regierungsvertreter, Hilfsorganisationen und UN-Institutionen in Rom zusammen.

Eines der acht Millenniumsziele der Internationalen Gemeinschaft ist die Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2015 – doch die Erreichung dieses Ziels ist unrealistisch geworden, sagt Ralf Südhoff, Deutschland-und-Österreich-Chef des UN World Food Programme (WFP), der größten humanitären Organisation der Welt.

Es fehlt nicht an Strategien zur Bekämpfung des Hungers, auch Nahrungsmittel gäbe es heute noch genug für alle auf der Welt. Schuld an der Krise ist vor allem ein Mangel an politischem Willen und Zahlungsmoral. Weder die UN-Mitgliedstaaten noch die Regierungen in Afrika halten sich an ihre Versprechen, mehr in die Landwirtschaft zu investieren und ausreichende Mittel für Entwicklungshilfe im ländlichen Raum zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer Faktor ist die politische Instabilität in vielen betroffenen Ländern – im vom Bürgerkrieg zerrütteten Kongo zum Beispiel sind dem Welthungerindex zufolge drei Viertel der Bevölkerung unterernährt, die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten weltweit. Gerade bei Kindern ist der Hunger fatal – denn wer nicht genug zu essen hat, kann auch nicht zur Schule gehen, sich nicht konzentrieren, später nicht arbeiten und bekommt meistens, wenn er das Erwachsenenalter überhaupt erreicht, wieder unterernährte Kinder.

„Hilfe zur Selbsthilfe“

Bisher galt die Regel: Es gibt genügend Nahrungsmittel für alle Menschen auf der Welt, sie werden nur falsch verteilt. Doch diese Ära ist vorbei, sagt Südhoff. Sowohl die Weltbevölkerung als auch der Wohlstand (und somit der Konsum von Fleisch und Biosprit) wachsen in rasantem Tempo, und die Umweltkatastrophen häufen sich. Dazu kommt noch Spekulation, die kurzfristig zu sehr hohen Lebensmittelpreisen führt, und sogenanntes „Land Grabbing“. Diese „neue Form des Kolonialismus“ bezeichnet den Landerwerb durch ausländische Investoren, die Nahrungsmittel für den Export anbauen, wovon die einheimische Bevölkerung in der Regel nicht profitiert.

Ansätze, das zu ändern, gibt es bereits – das WFP zum Beispiel unterstützt Projekte in Afrika, die nach dem Konzept „Hilfe zur Selbsthilfe“ funktionieren. „Ernährungsmittelhilfe statt Nahrungsmittelhilfe“ kann man es auch nennen, denn die Menschen bekommen nicht nur Nahrungsmittel von Hilfsorganisationen ausgehändigt, sondern auch Unterstützung bei deren Anbau und Verkauf, um sich schließlich selbst ernähren zu können. Nahrungsmittel, die in akuten Notsituationen gebraucht werden, stammen ebenfalls von Kleinbauern aus der Region, womit die UNO zu einem wichtigen Handelspartner der Kleinbauern wird.

Was jeder Einzelne tun kann, um gegen den Hunger zu kämpfen? Weniger Fleisch essen, Fair-Trade-Produkte kaufen, und zum Beispiel das Online-Quiz „www.freerice.com“ spielen, bei dem für jede richtige Antwort ein Gramm Reis gespendet wird.

ONLINE-QUIZ

www.freerice.com

Gastkommentar, Seite 34

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2010)

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