Die deutsche Bundeskanzlerin hält den Aufbau einer Multikulti-Gesellschaft für fehlgeschlagen. Zwangsehen seien nicht akzeptabel. Die Regierung sammelt Fälle von Integrationsverweigerung
Die Bemühungen um den Aufbau einer Multikulti-Gesellschaft in Deutschland sind nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel fehlgeschlagen. "Dieser Ansatz ist gescheitert, absolut gescheitert", sagte Merkel am Samstag bei einem Kongress der Jungen Union in Potsdam. In der Vergangenheit sei zu wenig verlangt worden. Es sei aber eine berechtigte Forderung, dass Zuwanderer die deutsche Sprache lernten, um eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül ging in einem Interview mit er "Süddeutschen Zeitung" noch einen Schritt weiter: In Deutschland lebende Türken müssten "akzentfrei und fließend" Deutsch lernen.
Polizei muss sich in alle Stadtteile trauen
Zwangsehen seien nicht akzeptabel, und natürlich müssten auch Mädchen aus Migrantenfamilien auf Schulausflüge mitgehen dürfen. Zugleich müsse dafür gesorgt werden, dass Straftaten rasch abgeurteilt würden und es keine Stadtteile gebe, in die sich die Polizei nicht hineintraue.
Islam ein Teil Deutschlands
Zugleich stellte sich Merkel hinter die in Teilen der Union umstrittene Aussage von Bundespräsident Christian Wulff, wonach der Islam ein Teil Deutschlands ist. "Er ist ein Teil Deutschlands - das sieht man nicht nur am Fußballspieler (Mesut) Özil", betonte Merkel mit Verweis auf den türkischstämmigen Torschützen der deutschen National-Elf.
Regierung überprüft Integrationsverweigerung
Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière sammelt in den Ländern Informationen über Fälle von Integrationsverweigerung. Laut "Spiegel" will der CDU-Politiker bis Mitte dieser Woche mit einer Umfrage feststellen lassen, wie groß das Problem tatsächlich ist. Ein Sprecher des Innenministeriums erklärte am Samstag, es sei "eine permanente Übung", in den Ländern nachzuhaken.
Wer schwänzt Integrationskurs?
Der Bund interessiere sich vor allem für den Anteil jener Ausländer, die nach ihrer Einreise den verpflichtenden Integrationskurs schwänzen oder abbrechen. Ein erstes Zwischenergebnis aus Niedersachsen deute darauf hin, dass die Zahl der "Unkooperativen" offenbar nicht besonders hoch ist. Demnach hatten etwa 3,8 Prozent der vorgesehenen Teilnehmer ihren Pflichtkurs ohne ausreichenden Grund nicht angetreten oder beendet. Bei 2,6 Prozent kam es zu Sanktionen oder zu Androhung davon. Ein Problem besteht nach Ansicht der niedersächsischen Behörden allerdings darin, dass Kursanbieter die Verweigerer oft nicht an die Ausländerbehörden weitermelden und es dadurch eine Dunkelziffer gibt.
Änderungen im Aufenthaltsrecht geplant
Die schwarz-gelbe Koalition und ihr Innenminister bereiten im Vorfeld des Integrationsgipfels in diesem Herbst einen Gesetzentwurf mit Änderungen im Aufenthaltsrecht vor. "Der Integrationsgipfel soll ein Gipfel werden, bei dem es nicht nur um Appelle geht", kündigte ein nicht namentlich genannter "Regierungsstratege" im Magazin "Focus" an.
Bereits im August hatten Union und FDP Änderungen im Strafgesetzbuch vorgeschlagen. Zwangsehen sollen demnach mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Zudem soll die Antragsfrist zur Aufhebung einer solchen Ehe von einem auf drei Jahre verlängert werden. Das Gesetz wird nach der Sommerpause im September erstmals im Bundestag beraten und soll im Herbst beschlossen werden.
Internationale Verfolgung von Zwangsehen
Wer "durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List" einen Menschen zur Ehe zwingt, soll gemäß des neuen Paragrafen 237 im Strafgesetzbuch auch international verfolgt werden können. Bisher kann die Zwangsehe nur über den Umweg des Straftatbestands "Schwere Nötigung" geahndet werden.
Über das Ausmaß von Zwangsverheiratungen existieren in Deutschland keine repräsentativen Erhebungen. Die Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes verweist jedoch auf Studien in einzelnen Ländern. Demnach werden in Berlin jährlich etwa 370 Frauen zur Hochzeit gezwungen, in Hamburg und Baden-Württemberg jeweils etwa 200. An Terres des Femmes selbst wenden sich bundesweit etwa 170 Menschen.
(Ag.)