Terror: "Alle Christen im Irak auslöschen"

(c) AP (Hadi Mizban)
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Bei einer als"unprofessionell" kritisierten Befreiungsaktion starben 52 der von al-Qaida-Terroristen in einer Kirche in Bagdad festgehaltenen Geiseln. Die Geiselnehmer zünden Sprengstoffwesten und Granaten.

Bagdad/Kairo. Es war einer der Fälle, bei denen am Ende unklar ist, ob mehr Menschen durch die Hände der Geiselnehmer oder durch die Befreier gestorben sind. Nur, dass es ein Blutbad war und dass am Ende 52 Menschen starben, das wurde schließlich amtlich.

Irakische Sicherheitskräfte stürmten am Sonntagabend eine der größten katholischen Kirchen im Zentrum Bagdads, nachdem sich dort bewaffnete Geiselnehmer vier Stunden lang verschanzt und über hundert christliche Gemeindemitglieder als Geiseln genommen hatten. Die Geiselnehmer waren mit Sprengstoffwesten und Granaten ausgerüstet, die sie bei der Befreiungsaktion zündeten.

Begonnen hatte der Alptraum bei der Abendmesse, als zuerst mehrere Bomben auf der Straße vor der Kirche detoniert waren und dann Schwerbewaffnete die Kirche stürmten. Als Erster war der Priester erschossen worden.

„Alle Terroristen sind tot“

„Wir konnten nicht warten, da die Terroristen geplant haben, unsere christlichen Brüder in der Messe zu töten“, rechtfertigte Iraks Verteidigungsminister Abdel Kader al-Obeida die Befreiungsaktion. Seine gewagte Schlussfolgerung: „Die Operation war erfolgreich. Alle Terroristen sind tot.“

Yunadem Kana, ein christliches Mitglied des irakischen Parlaments, äußerte sich dagegen kritisch und bezeichnete die Befreiungsaktion als „unprofessionell“. Es sei eine überhastete Aktion gewesen, erklärt er. „Wir haben kein genaues Bild, ob die Gläubigen in der Kirche durch die Kugeln der Sicherheitskräfte oder durch die Terroristen umgekommen sind. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass die meisten bei der Befreiungsaktion starben“, sagt er. Widersprüchliche Berichte gibt es auch über die genaue Zahl der Geiselnehmer. Neun seien getötet worden, erklärt ein irakischer Militärsprecher. Das US-Militär, das bei der Befreiungsaktion lediglich Luftaufklärung zur Verfügung gestellt hat, spricht von fünf oder sieben Geiselnehmern.

Die irakische Fernsehstation al-Baghdadiya behauptet, sie habe einen Anruf von den Geiselnehmern aus der Kirche erhalten, in dem die Freilassung aller al-Qaida-Gefangenen im Irak und in Ägypten verlangt wurde. Auch im Internet tauchte eine kryptische Erklärung auf, in der die al-Qaida-nahe Organisation „Der Islamische Staat im Irak“ meint, sie zeichne für die Geiselnahme verantwortlich. Man werde alle Christen im Irak und in Ägypten auslöschen, wenn zwei moslemische Frauen in Ägypten nicht innerhalb von 48 Stunden aus den Händen der koptischen Kirche befreit würden.

Ein Verweis auf mehrere bizarre Fälle, die derzeit in der ägyptischen Öffentlichkeit großes Aufsehen erregen. Zwei koptische mit Priestern verheiratete Frauen sollen angeblich zum Islam übergetreten sein, weil die Kirche den Kopten eine Scheidung untersagt, so die Behauptung aus moslemischen Kreisen. Koptische Kreise erklären, die Frauen seien entführt worden. Beide tauchten später bei der Polizei auf und behaupteten, niemals konvertiert zu sein. Seitdem vergeht in Kairo und in Alexandria von moslemischer Seite kein Tag, an dem nicht für die „Befreiung der Frauen“ demonstriert wird. Der koptische Bischof Murqus erklärte, dass die Drohung der Geiselnehmer aus Bagdad nicht nur gegen die koptische Kirche, sondern gegen die Sicherheit Ägyptens gerichtet sei. Koptische Kirchen und Klöster hätten keinen zusätzlichen Schutz angefordert.

Exodus der Christen

Der Irak erlebt seit dem US-Einmarsch 2003 einen Exodus der Christen, die immer wieder zur Zielscheibe von Anschlägen wurden.

Stellten sie in den 1980er-Jahren noch drei Prozent der irakischen Bevölkerung, sind es heute weniger als ein Prozent.

Papst Benedikt XVI. verurteilte am Montag den Angriff auf die Kirche in Bagdad als „absurde Gewalt“. Einer der Christen der Gemeinde in Bagdad erklärte Journalisten nach dem Blutbad: „Die Christen im Irak haben die Hoffnung verloren. Der beste Weg zum Überleben ist es, sich ein anderes Land zu suchen.“

Auf einen Blick

Geiseldrama im Irak. Extremisten mit Verbindungen zur islamistischen al-Qaida nahmen am Sonntag mehr als 100 irakische Katholiken in einer Bagdader Kirche als Geiseln. Sie forderten die Freilassung von Kämpfern im Irak und in Ägypten. 52 Geiseln und Polizisten seien bei der Erstürmung getötet worden, 67 weitere verletzt worden, teilte das irakische Innenministerium mit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2010)

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