Türkei fordert Nato-Partner heraus

(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
  • Drucken

Premier Erdoğan fordert die Befehlsgewalt über Abwehrraketen. Das widerspricht allerdings der Nato-Doktrin. Noch ist allerdings gar nicht ausgemacht, dass in der Türkei überhaupt Raketen installiert werden.

Istanbul. Problem weg, neues Problem da. Auf diese Kurzformel lassen sich derzeit die US-Bemühungen um einen Raketenschutzschild bringen, der hauptsächlich gegen Angriffe aus dem Iran gerichtet ist. Die Regierung Obama hat eingesehen, dass Polen und Tschechien, mit denen sein Vorgänger George W. Bush weitgehend handelseins gewesen war, nicht die idealen Standorte für das Abwehrsystem sind.

Nun soll der Schirm im Rahmen der Nato errichtet werden und die Türkei eine Schlüsselrolle übernehmen. Sie ist jedoch an so einem Schirm gar nicht interessiert, ja, betrachtet ihn sogar als schädlich für ihre Beziehungen zum Iran. Deshalb stellt sie Bedingungen. Deren wichtigste: Ankara fordert ohne Einschränkung das Kommando über die Abwehrraketen. Dies widerspricht aber der Doktrin der Nato. Gegenüber der Zeitung „Milliyet“ erklärte Nato-Sprecher James Appathurai, das Kommando über Nato-Operationen liege immer bei der Allianz, nicht bei einem einzelnen Mitgliedstaat.

Es sieht indes es nicht danach aus, als würde die Türkei auf dem Nato-Gipfel am Freitag und Samstag in Lissabon nachgeben. Ivo Daalder, US-Botschafter bei der Nato in Brüssel, deutete an, die Entscheidung werde wohl verschoben werden. In Lissabon ginge es dann nur darum, ob die Nato das Projekt überhaupt realisieren könne. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen machte bereits eine Konzession: Er will darauf verzichten, den Iran explizit als Land zu nennen, gegen dessen Raketen sich der Schild richtet: Es gäbe keinen Grund, nur ein Land zu nennen, denn Länder, die nach Raketentechnologie strebten, gäbe es „eine Menge“.

Unabhängigkeit der Türkei demonstrieren

Das Nahziel des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdoğan dürfte es sein, die Raketenfrage aus dem Wahlkampf 2011 herauszuhalten. Ob ihm das ohne ein klares Nein gelingt, ist fraglich. Außerdem geht es generell darum, die Unabhängigkeit der Türkei zu demonstrieren und das Verhältnis zum Nachbarn Iran so wenig wie möglich zu belasten. Indirekt wurde die türkische Haltung bereits von Irans Vize-Außenminister kritisiert. Der äußerte die Ansicht, dass der Raketenschirm dem Schutz Israels dienen soll. Viele Türken denken genauso, das könnte Erdoğan im Wahlkampf zu spüren bekommen.

Noch ist allerdings gar nicht ausgemacht, dass in der Türkei überhaupt Abfangraketen installiert werden. Die Pläne der Nato sehen bisher nur vor, dass das Radar, das angreifende Raketen möglichst frühzeitig erfassen soll, in der Türkei fest installiert werden soll. Die Abwehrraketen selbst könnten auch von woanders, insbesondere auch von Schiffen aus, abgefeuert werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.