Nordkorea: Neue Atomanlage enthüllt

Nordkorea Neue Atomanlage enthuellt
Nordkorea Neue Atomanlage enthuellt(c) DigitalGlobe (HO)
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Alarmierender Bericht in der "New York Times": US-Forscher erhielt Zugang zu topmodernen Uranzentrifugen. Gab es – unter Umgehung der strikten UN-Sanktionen – ausländische Hilfe?

Washington/Pjöngjang/Ag/Red. Urananreicherung, Atomwaffen, unterlaufene Sanktionen: Wenn diese Begriffe fallen, ist normalerweise vom Iran die Rede. Doch der alarmierende Bericht in der „New York Times“ vom Sonntag handelt von Nordkorea: Das Atomprogramm des stalinistischen Regimes ist offenbar viel weiter gediehen als bisher gedacht.

Nordkorea hat seine jüngsten Fortschritte nun gezielt bekannt gemacht: Einem renommieren US-Wissenschaftler wurde vor Kurzem auf dem Gelände des Atomkomplexes Yongbyon eine große neue Anlage zur Urananreicherung gezeigt. Er habe „viele hundert Zentrifugen“ gesehen, deren Entwicklungsgrad ihn „verblüfft hätte“, sagte Siegfried S. Hecker, der ehemalige Leiter der legendären US-Atomforschungsstätte Los Alamos. Die Zentrifugen – laut nordkoreanischen Angaben derzeit 2000 Stück – seien offenbar frisch installiert worden, gesteuert werde die Anlage von einem „ultramodernen Kontrollraum“, berichtete Hecker.

Ihm sei erklärt worden, das Uran soll dort lediglich auf die zur Atomenergiegewinnung nötigen 3,5 Prozent angereichert werden. Angereichertes Uran kann zu Brennstäben für Atomkraftwerke weiterverarbeitet werden, aber auch zu nuklearen Sprengköpfen. Dafür ist allerdings ein weitaus höherer Anreicherungsgrad nötig.

Verhandlungsmasse im Atompoker

Während also beim Nato-Gipfel in Lissabon offiziell einmal mehr schöne Worte über das Ziel einer atomwaffenfreien Welt gewechselt wurden, unterrichteten die USA ihre Partner über die jüngsten Entwicklungen. Stephen Bosworth, der Nordkorea-Beauftragte der US-Regierung, begann noch am Sonntag mit einer Rundreise durch asiatische Länder, die in den Atomstreit involviert sind. Nach einem Treffen mit südkoreanischen Regierungsvertretern wird Bosworth am Montag nach Japan und China weiterreisen. Diese Staaten sowie Russland waren an den gescheiterten „Sechsergesprächen“ beteiligt, in deren Rahmen gemeinsam mit Nordkorea eine Lösung des Atomstreits gesucht hätte werden sollen. Das Regime hat im Zuge der Verhandlungen sogar seinen Atomreaktor in Yongbyon unter internationaler Aufsicht gesprengt.

Dass Nordkorea seither an einem Wiederaufbau seiner nuklearen Kapazitäten gearbeitet hat, darauf hat es zwar Hinweise gegeben. Es stellt sich allerdings die Frage, warum Nordkorea die bisher geheim gehaltenen Aktivitäten gerade jetzt enthüllte. Die schlüssigste Interpretation wäre, dass Diktator Kim Jong-il mit diesem Schritt einfach seine Ausgangsposition im Atompoker verbessern will. Es würde sich in die bisherige Verhaltensweise des Regimes einfügen, das stets versucht hat, Verhandlungsmasse zu schaffen.

Schrei nach Aufmerksamkeit?

Dazu kommt, dass der Atomstreit mit Nordkorea derzeit im Vergleich zum Iran einfach nicht im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit steht. Pjöngjang hat zwar heuer schon einiges getan, um die Blicke auf sich zu lenken (vor allem das Versenken eines südkoreanischen Schiffes und weitere feindselige Maßnahmen gegenüber Südkorea), bisher aber ohne den gewünschten Erfolg. US-Vertreter machten nun deutlich, dass neue Verhandlungen nicht auf der Agenda stünden, solange Nordkorea nicht Ernsthaftigkeit und konstruktive Schritte erkennen lasse.

Das Regime hat sich 2006 nach einem ersten Atomtest zur Nuklearmacht erklärt. Ein zweiter fand 2009 statt. Wie erfolgreich die beiden Tests tatsächlich waren, ist allerdings umstritten. Experten gehen davon aus, dass Nordkorea über zehn bis zwölf Atomsprengköpfe verfügt. Im April 2009 warf Pjöngjang die internationalen Inspektoren aus dem Land. Die neue Anlage muss also in den seither verstrichenen eineinhalb Jahren gebaut worden sein. Eine der wichtigsten Fragen ist es nun, wie es Nordkorea gelungen ist, die internationalen Sanktionen zu unterlaufen. Denn es ist schwer vorstellbar, dass das verarmte Land die topmoderne Anlage im Alleingang gebaut hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2010)

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