38° Nord: Stalinismus gegen Hi-Techs

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Nordkorea: Der 38. Breitengrad trennt ein Land im Steinzeitkommunismus, das kryptostalinistische Nordkorea, von einem der modernsten Staaten der Welt im offenen Süden. Willkommen in einer Welt der Gegensätze.

Wer gab den Befehl, wer ist Schuld am Tod der vier Südkoreaner, die vorigen Dienstag auf der kleinen Insel Yeonpyeong unter dem Artilleriefeuer aus Nordkorea ihr Leben verloren? Warum gerade jetzt? Und sind nordkoreanische Zivilisten und Soldaten verletzt oder getötet worden, als Südkoreas Armee zurückschoss?
Wie gerne wären wir Pekinger Journalisten in der vergangenen Woche nach Nordkorea gereist, um eine Antwort auf diese Frage zu finden. Aber anders als der demokratische, offene Süden lässt der kryptostalinistische Norden selten fremde Korrespondenten ins Land. Nur eine Handvoll ausländischer Medien ist permanent in der Hauptstadt Pjöngjang vertreten, darunter die staatliche chinesische Agentur Xinhua sowie die russische Nachrichtenagentur „Interfax“.

Die anderen sitzen vor der Tür der „Demokratischen Volksrepublik Korea“ (DPRK), wie Nordkorea offiziell heißt. Wir müssen uns damit begnügen, chinesische und internationale Experten zu befragen und uns einen Reim auf die Propaganda der amtlichen Nachrichtenagentur KCNA zu machen. Gleichwohl ist es mir in den vergangenen acht Jahren mehrfach geglückt, nach Nordkorea zu reisen. In einigen Fällen, wie beim ersten Besuch im April 2002, hatten die Behörden Journalisten eingeladen. Sie versprachen sich einen Werbeeffekt für ihr Land und für den dort extrem unterentwickelten Tourismus, denn in jenem Jahr fand die Fußball-WM in Südkorea statt. Als Konkurrenz dazu organisierte der Norden die „Arirang“-Massengymnastik-Show mit mehr als 100.000 Teilnehmern im „1. Mai-Stadion“ von Pjöngjang. Die Funktionäre glaubten ernsthaft, dass ihr Synchronturnen mindestens ebenso attraktiv sein würde wie die Fußball-WM.

In anderen Fällen begleitete ich Parlamentarier und andere Reisegruppen, zuletzt heuer im Mai. Zu dieser Zeit herrschten große Spannungen auf der Halbinsel, nachdem die Nordkoreaner beschuldigt wurden, die südkoreanische Korvette „Cheonan“ mit einem Torpedo versenkt zu haben.

Jeder Nordkoreaner, den wir in diesen Tagen trafen, schwor Stein und Bein, dass dieser Vorwurf völlig ungerechtfertigt sei. „Wir wollen nichts anderes als Frieden und Wohlstand“, hieß es immer wieder. Wer kein koreanisch spricht, ist auf die Hilfe von Übersetzern angewiesen. Unsere Begleiter wachten  mit Argusaugen darüber, dass wir nicht unbeaufsichtigt durch die Straßen wanderten und unbeobachtet mit Passanten sprachen.


Das Programm steht eisern fest.
Tagsüber bieten die Gastgeber ein festes Programm, von dem nicht abgewichen werden darf. Dazu gehört das als Heiligtum verehrte Geburtshaus des Staatsgründers Kim Il-sung in einem  Park am Rande der Hauptstadt sowie der Juche-Turm am Ostufer des Taedong-Flusses, der nach der Staatsphilosophie „Juche“ (Eigenständigkeit) benannt wurde. Stets sammeln die Beamten am Flughafen von Pjöngjang Handys und Satellitentelefone der Ankömmlinge ein, um sie erst bei der Ausreise zurückzugeben. Einmal untersuchten sie meinen Laptop nach versteckten SIM-Karten und anderen Sendern.

ss-6;0Inzwischen weiß ich, dass es nichts nutzt, sich über solche Aktionen zu ärgern; sie sind als Zeichen einer Diktatur zu sehen, die um ihr Überleben kämpft. Die Begleiter ausländischer Besucher sind häufig charmant und zugleich sehr vorsichtig, sich nicht selbst durch unbedachte Äußerungen in Gefahr zu bringen.
Wieweit sie von dem, was sie uns Journalisten berichten, selbst überzeugt sind, ist schwer zu beurteilen. Eine Reise nach Nordkorea kann daher immer nur einen Zipfel einer überaus komplizierten Realität enthüllen.
Die Handys einzusammeln zum Beispiel scheint auf den ersten Blick eine überflüssige Aktion,  da Besucher in Pjöngjang und Umgebung ohnehin kein Signal mit ihren Geräten empfangen können. Doch Nordkoreaner handeln illegal mit Mobiltelefonen und chinesischen SIM-Karten. Sie werden heimlich im koreanisch-chinesischen Grenzgebiet benutzt, da auf der chinesischen Seite starke Mobilfunksender weit nach Nordkorea hinüberstrahlen.


Sensation! Mobiltelefone! So verbreiten sich auch Informationen, die das Regime eigentlich unterdrücken will. Während meines letzten Besuches erlebte ich eine kleine Sensation: Mittlerweile dürfen die Anwohner von Pjöngjang ganz legal Mobiltelefone kaufen. Sie werden von der ägyptischen Firma Orascom vertrieben, kosten je etwa 250 Dollar und sind damit eigentlich unerschwinglich. Ein normaler Nordkoreaner müsste jahrelang arbeiten, um sich eines leisten zu können.

Und doch sah ich in der  Hauptstadt nicht wenige Menschen mit Handy am Ohr. Für uns Außenstehende bleibt nur der Schluss: Es existiert eine gewaltige Schattenwirtschaft, die einige Nordkoreaner zu Geld kommen lässt. Und die können sich dann auch aus Australien importierte Äpfel oder Mangos aus China leisten, die auf privaten Märkten angeboten werden.
Gleichwohl ist die Kommunikation schwierig. Es gibt in Pjöngjang mindestens drei Telefonnetze. Eines ist für ausländische Bewohner der Hauptstadt reserviert, die sich nur untereinander anrufen können, ein weiteres für die Behörden und eines für Privatleute. Die Netze sind streng voneinander getrennt; ein Ausländer kann zum Beispiel keinen örtlichen Privatanschluss anwählen.
„Ich kann mich mit koreanischen Bekannten oder Projektpartnern nur treffen, wenn ich an einer öffentlichen Veranstaltung teilnehme“, berichtete mir die Mitarbeiterin eines europäischen Hilfswerkes. Dafür ging sie zu Tanzabenden auf dem Kim-Il-sung-Platz, in eines der örtlichen Badehäuser oder zur Party von Diplomaten. Erst das neue Orascom-Handy erlaubte es ihr, Mitarbeiter außerhalb von Pjöngjang anzurufen.


Ein Museum für Staatsgeschenke.
Ausländische Journalisten dürfen Pjöngjang – die Stadt hat etwa vier Millionen Bewohner – zuweilen verlassen, es sind aber nur wenige Ziele erlaubt. Dazu gehören vor allem die Demarkationslinie am 38. Breitengrad, der Korea sauber in zwei Hälften trennt, und das Museum für Staatsgeschenke. Beide Orte habe ich oft genießen können. Als ich indes einmal in die Industriezone Kaesong an der Grenze zu Südkorea fahren durfte, musste einer meiner örtlichen Begleiter zurückbleiben, weil er, wie er sagte, „nicht den richtigen Ausweis dafür“ besaß.

Dass Nordkoreas Wirklichkeit surrealer als die wildeste Fantasie sein kann, erfuhr ich schon bei meinem ersten Besuch 2002. Alle Gesprächspartner – Diplomaten, Mitarbeiter von Hilfsorganisation und einheimische Betreuer – hatten erklärt, dass es in Pjöngjang keinen Internetzugang ins Ausland gebe – „außer vielleicht beim Militär und in der Regierungsspitze“.
In der „Großen Studienhalle des Volkes“, der gewaltigen Bibliothek und Volkshochschule im Zentrum Pjöngjangs, können Besucher inzwischen nicht mehr nur in Karteikästen, sondern auch per Computer nach Büchern und Dokumenten suchen. Allerdings ist das nur ein Intranet, eine Verbindung nach außen existiert nicht. Ob sie wissen, warum ihre Armee Südkorea derzeit wieder einmal bedroht?s

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