38° Nord: Grau gegen Bunt

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Südkorea: Die Hauptstadt Seoul, die Stadt mit Seele, ist bevölkert von hart arbeitenden Hedonisten, die glauben, dass Kreativität trainierbar ist. Jeder genießt die Öffnung des einst verschlossenen Landes.

Im Seouler Studentenbezirk Hongdae geht es himmlisch zu: Weiße Engel lassen aus Papier und Alufolie gestanzte Schneeflocken auf die Tanzfläche rieseln und tanzen wie auf Wolke sieben. Wodka statt Manna, wummernde Bässe statt Harfenklänge und wunderschöne Körper statt durchgeistigter Gestalten lautet die Devise.

Dabei hatte Südkoreas Hauptstadt lange keinen guten Ruf: Eine urbaner Betondschungel sei die Stadt. Seoul, eine Stadt ohne Seele. Doch das ist passé: Die junge Generation ist selbstbewusst, und das Land weiß um seine Soft-Power-Qualitäten. „Hallyu“, die Korea-Welle, ist über ganz Asien geschwappt, koreanischer Pop (K-Pop), koreanisches Kino und Seifenopern begeistern die Menschen von Japan über China bis Chile. Der Stolz der Nation speist sich aus dem Wissen, jahrhundertelang den Imperien Japan, China und Russland getrotzt und die eigene Kultur bewahrt zu haben.

Seouls Bürgermeister Oh Se-hoon schwelgt bei einem Abendempfang im Restaurant Fradia im Hangang Park, direkt am gleichnamigen Fluss, von der Schönheit seiner Stadt, dem Innovationsgeist und der Kreativität ihrer Bewohner. Er preist Seoul als Design-Metropole an, spricht von Green-Growth, dem „grünen Wachstum“ mithilfe von Umwelttechnologien.

Kritische Geister bezweifeln aber, ob man Kreativität verordnen kann, ob die Ausrufung zur Design-Metropole genügt, um bei den jungen Bohémiens ein Feuerwerk an Ideen zu entzünden. Immerhin: Samsung beschäftigt Design-Studios in London und Mailand, und Hyundai lässt in der Opel-Stadt Rüsselsheim entwickeln – hat Europa vielleicht doch seine Stärken?


Hartes Training für Pop-Divas.
Der Erfolg von K-Pop liegt, so Vizekulturminister Mo Chul Min bei einem Dinner im Nobelrestaurant Samcheonggak mit Journalisten, nicht zuletzt am harten Gesangs- und Choreografie-Training. So sei es gelungen, den japanischen Markt zu erobern, wird Hong Seung-sung, Chef des Musiklabels „Cube Entertainment“, in der Zeitung „Korea Joongang Daily“ zitiert: „Die Japaner können sich kaum vorstellen, wie wir unsere Künstler täglich zwölf Stunden trainieren können.“ Doch langsam entwickelt sich auch ein spannender Underground: Korea ist das Land, wo sich Einflüsse aus China und Japan mit US-Trends mischen. Immerhin gibt es seit dem Koreakrieg (1950-53) und der Stationierung von US-Soldaten im Land ein Netz an Armeesendern, die das Volk mit den Trends aus Amerika vertraut machten.

Südkorea hat es durch harte Arbeit geschafft, aus den Trümmern des Krieges zur Weltspitze aufzusteigen. Mit Hyundai, LG oder Samsung hat es Marken, die heute die japanischen Konkurrenten Toyota, Panasonic oder Sony bedrängen. Der frühere „Washington Post“-Reporter Frank Ahrens ist heute Direktor der PR-Abteilung des Autokonzerns Hyundai und bewundert die koreanische Mentalität: „Hier geht man aufs Ganze. Korea ist kein Land der Lauen, die Devise lautet ,Ganz oder gar nicht‘. Beispiel: Wenn die Menschen wandern gehen, dann kleiden sie sich wie für eine Everest-Expedition. Man bereitet sich optimal vor und überlässt nichts dem Zufall. Korea ist ein Land der Perfektionisten.“

Wie lebt es sich in einer Stadt, auf die, kaum 40 Kilometer entfernt, tausende Geschützrohre des unberechenbaren Nachbarn im Norden gerichtet sind? Jiwon Lee (28), der an der „Hankuk University of Foreign Studies“ studiert, sagt: „Wir leben in einer Konfliktzone. Aber die Atmosphäre wird von Gleichgültigkeit bestimmt. Die ältere Generation hat vielleicht noch von Wiedervereinigung geträumt, bei den Jungen ist das anders.“ Die junge Generation blicke nach Japan und China, auf die USA und Europa und weniger auf die isolierten und rückständigen Brüder und Schwestern im Norden.


Endlich zählt auch die Umwelt. Das Land steht vor dem nächsten Entwicklungsschritt: von der Industrie- zur postindustriellen Gesellschaft, von halsbrecherischem zu nachhaltigem Wachstum. Die junge Englischlehrerin Cho Hyejin führt durch ein Museum, das der Revitalisierung des Han-Flusses gewidmet ist. Das Projekt ist der ganze Stolz des südkoreanischen Präsidenten Lee Myung-bak, der dieses Umweltprojekt als Bürgermeister von Seoul begann. Eine Stadtautobahn wurde abgerissen, erzählt Hyejin, ein dreckiger Abwasserkanal wurde zu einem netten, sauberen Flüsschen umgebaut, das sich zu einem Naherholungsgebiet gemausert hat. Den Menschen sei nun bewusst, wie wichtig eine saubere Umwelt sei.

Das Land hat sich in den vergangenen Jahren geöffnet. Die Studentin Oh Soo Yeoun erzählt, dass sie staune, wie viele Ausländer es heute hier gibt. 220.000 sollen es alleine in Seoul sein. Und während früher eine Liaison zwischen einer Südkoreanerin und einem Europäer oder Amerikaner verpönt war, sehe man heute immer mehr gemischte Paare. Es gebe auch viele Hochzeiten zwischen Südkoreanern und Frauen aus Südostasien. Die abweisende Haltung gegenüber Fremden sei Resultat einer gewissen „Einschüchterung“ gewesen, sagt Oh Soo Yeoun. Die sei nun Neugierde und Offenheit gewichen.

Oh Soo Yeoun hat wohl recht: Englischlernen gehört mittlerweile zum guten Ton, und südkoreanische Touristengruppen entdecken heute zu zehntausenden die Welt.


Grassierende Internetsucht.
Während Nordkorea unterdessen einer der wenigen weißen Flecken auf der Internet-Landkarte ist, ist Südkorea wirklich „fully wired“. 80,6 Prozent der Bürger von Seoul sind ans Internet angeschlossen, es gibt kaum noch Behördenwege, die sich nicht elektronisch bewältigen lassen. Und Südkorea ist eines der wenigen Länder, wo Computer-Gaming als Zuschauersport zelebriert wird. Das Phänomen heißt „E-Sports“ und zieht Hunderttausende in den Bann.
Ob über all das die jungen Menschen im nahen Nordkorea Bescheid wissen?

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