Stockholm entgeht knapp Terror-Katastrophe

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Ein Selbstmordattentäter starb bei der Explosion in einer belebten Einkaufszone der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Er blieb das einzige Todesopfer, denn nur einer seiner Sprengsätze ging in die Luft.

Kopenhagen/Stockholm. Es gibt in Schweden kaum hektischere Orte als die Stockholmer Drottninggata an einem Einkaufswochenende im Advent. Unzählige mit Paketen beladene Passanten hasteten auch an diesem Wochenende durch die Fußgängerzone, fliegende Händler boten Krimskrams, Flitter und gebrannte Mandeln feil, Taglöhner standen mit ihren Plakaten und versuchten, die Aufmerksamkeit der Passanten auf bestimmte Geschäfte zu lenken.

An der Ecke zur Olof-Palme-Gata hielt ein 28-jähriger Mann mit arabischem Aussehen seine Reklametafel eines Fish-and-Chips-Ladens hoch. Es war am Samstag, nach fünf, kurz vor Geschäftsschluss. Plötzlich ließ eine Explosion die Häuser erzittern. Aus einem an der Ecke geparkten Auto schossen die Flammen hoch. Noch ein paar Mal puffte es, dann brannte der Audi lichterloh. In Panik rannten die Menschen weg, die Feuerwehr war rasch zur Stelle.

Zwei Leichtverletzte waren die einzigen Opfer der Detonation. Zunächst sah alles nach einem Unglück aus. Zeugen hatten in dem Auto mehrere Gasflaschen gesehen, eine musste wohl Feuer gefangen haben. Auch der Mann mit der Fish-and-Chips-Reklame hatte sich vom Tatort entfernt.

Rucksack voll Nägeln

Zehn Minuten später war eine weitere Explosion, ein paar hundert Meter entfernt, in einer kleinen Nebenstraße zu hören. Ein Mann lag auf dem Boden, tot. An seinem Bauch hatte er eine riesige Wunde, als hätte er etwas getragen, das explodierte. „Sonst war er unversehrt“, sagte ein Augenzeuge, der zu Hilfe geeilt war und einsehen musste, dass er zu spät kam. Neben dem Toten lag die Reklametafel, vor ihm ein Rucksack, gefüllt mit Nägeln und Sprengstoff.

Sechs Rohrbomben hat der Mann um den Leib gebunden, berichten schwedische Medien. Eine war explodiert und hatte sein Leben genommen. Nur seines. Wenn stimmt, was die Polizei vermutet, entging Stockholm nur knapp einer Katastrophe, die die schwedische Hauptstadt unter Terrorschauplätze wie London und Madrid gereiht hätte. Der Sprengsatz war vorzeitig losgegangen. Hätte der Attentäter seine Bombe im Trubel der Drottninggata gezündet, hätte sie „Dutzende, ja hunderte Menschen töten können“, sagt Waffenexperte Bo Janzon.

Am Sonntag, dem Tag nach dem Anschlag, stufte die Sicherheitspolizei Säpo das Attentat als „sehr ernsthaften Terrorakt“ ein. Ob es sich um das Werk eines Einzeltäters handelte oder um ein von einer Terrorzelle geplantes Attentat, wollte sie vorerst nicht kommentieren. Hinweise auf Mittäter liegen ihr vorerst angeblich nicht vor. Das Auto war auf den Namen des 28-Jährigen registriert. Das Droh-E-Mail und die Audiobotschaft auf Schwedisch und Arabisch, die wenige Minuten vor den Anschlägen bei der Säpo und mehreren Medienredaktionen eingelaufen waren, waren von ihm unterschrieben und gesprochen worden. Da hatte er mit Vergeltung für die Beteiligung schwedischer Soldaten am Afghanistan-Krieg und für die Verhöhnung des Propheten durch den Künstler-Provo Lars Vilks gedroht, der Mohammed als Hund gekritzelt hatte. „Jetzt werden eure Kinder, Töchter und Schwestern sterben, so wie unsere Brüder und Schwestern getötet werden“, lautete seine „Botschaft an das schwedische Volk“. Und an „alle Mujahedin in Schweden und Europa“ richtete er die Forderung zuzuschlagen: „Fürchtet niemanden, nicht Gefängnis, nicht Tod.“

„Das war kein Einzeltäter“

Das Werk eines Einzeltäters? Magnus Ranstorp, Schwedens bekanntester Terrorexperte, glaubt nicht daran: „Das Auto, die Rohrbomben, die Drohbotschaft, das erfordert zu viel Koordination.“ So fragen sich die Schweden jetzt, ob sich in ihrem Land Terroristen verbergen, die bereit sind, ihr Leben und das vieler anderer zu opfern. Schon im Oktober hatte Säpo vor „erhöhtem Sicherheitsrisiko“ gewarnt, vor wenigen Wochen nahm sie drei Männer wegen eines angeblich geplanten Anschlags auf ein Einkaufszentrum in Göteborg fest. Falscher Alarm, hieß es damals. Zwischen den Göteborger Ermittlungen und dem Stockholmer Attentat gebe es keinen Zusammenhang, sagt die Polizei. Am Sonntag verstärkte sie ihre Präsenz in Stockholm, auch die Bewachung von Lars Vilks Haus in Südschweden wurde verschärft.

Der 28-jährige Selbstmordattentäter ist angeblich ein in Schweden aufgewachsener Mann aus dem Irak, der in den Nahen Osten reiste, wo er mit al-Qaida-Fahne im Internet posierte, während seine Familie glaubte, er sei zum Geldverdienen im Ausland. Ob er sich im Ausland nur Inspiration holte oder geschickt wurde, um ein Attentat durchzuführen, muss die Polizei nun herausfinden.

Auf einen Blick

Die Polizei geht davon aus, dass es sich bei den Explosionen in Stockholm um einen glimpflich verlaufenen Terroranschlag handelte. Ein Selbstmordattentäter kam dabei ums Leben, zwei Menschen wurden verletzt. Ein Bekennerschreiben deutet auf die Tat eines oder mehrerer Attentäter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2010)

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