Organhandel: Eine illegale Herzensangelegenheit

Organhandel Eine illegale Herzensangelegenheit
Organhandel Eine illegale Herzensangelegenheit(c) Www.BilderBox.com (Www.BilderBox.com)
  • Drucken

Weltweit boomt der Schwarzmarkt mit menschlichen Ersatzteilen: Wohlhabende Patienten buchen bei Organmaklern "Transplantationsreisen" ins Ausland, wo sie sich ein frisches Organ verpflanzen lassen.

Ein Geschäft wie jedes andere: In der Anonymität des Internets trifft die Nachfrage auf das Angebot. Ein Mittelsmann stellt den Kontakt zwischen beiden Parteien her, übernimmt die Verkaufsabwicklung und die Zustellung der Ware.

Und doch ist es kein Geschäft wie jedes andere: Denn im Angebot sind menschliche Organe. Der Mittelsmann ist ein Krimineller, hinter dem ein gut funktionierendes, internationales Netzwerk steht und der mit der Verzweiflung todkranker und armer Menschen satte Gewinne macht.

Der illegale Handel mit Organen boomt. Aber nur das Auffliegen spektakulärer Fälle oder Anschuldigungen gegen eine Person des öffentlichen Lebens – wie jüngst gegen den Kosovo-Premier Hashim Thaçi – spülen die Machenschaften an die Oberfläche. Der Regierungschef, für den die Unschuldsvermutung gilt, soll der Anführer eines Organhändlerrings gewesen sein, der 1999 in den Nachkriegswirren im Kosovo serbischen und albanischen Gefangenen Organe entnommen und diese auf dem internationalen Schwarzmarkt an ausländische Kliniken verkauft hat. Diverse Untersuchungen des Europarats, der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Vereinten Nationen zeigen, dass der Handel mit menschlichen Ersatzteilen ein lukrativer Wirtschaftszweig ist. Angeheizt wird der Markt durch die Knappheit der Spenderorgane. Weltweit werden pro Jahr rund 97.000 Transplantationen durchgeführt: Knapp 66.000 Menschen erhalten eine neue Niere, mehr als 20.000 eine neue Leber und etwa 5300 ein neues Herz. Der Bedarf liegt aber weit höher: 2007 bekamen in den EU-Mitgliedsländern 25.932 Menschen ein neues Organ verpflanzt, während zu Jahresende noch immer 58.182 auf der Warteliste standen. Viele der Patienten auf der ganzen Welt werden den Zeitpunkt nicht erleben, wenn sie an der Reihe sind – und wenden sich an Organhändler. Die WHO schätzt, dass bis zu zehn Prozent der weltweit durchgeführten Organverpflanzungen illegal sind.

Reiche Empfänger, arme Spender. „Empfänger sind meist wohlhabende Patienten aus Indien, China oder dem Nahen Osten, aus Ländern, in denen keine Organspenden von Verstorbenen vorgesehen sind“, erklärt der renommierte Bioethiker Arthur Caplan von der University of Pennsylvania (siehe Interview rechts), der für den Europarat eine Studie über Organhandel verfasst hat. Nur wenige Europäer oder Nordamerikaner würden sich etwa eine Niere im Ausland verpflanzen lassen. „Sie machen sich zu große Sorgen über die Qualität des Spenderorgans“, meint der Universitätsprofessor. Der Empfänger ist tendenziell hellhäutig, wohlhabend und männlich – Frauen nehmen die Dienste von Organhändlern nur selten in Anspruch.

„Das Angebot an Spendern ist dort zu finden, wo auch Frauen- und Kinderhandel zum Zweck der Prostitution passiert“, sagt Caplan; in Entwicklungs- und Schwellenländern wie Indien, Pakistan, Brasilien und auf den Philippinen. In Europa werden immer wieder die Ukraine, Rumänien und Moldau als jene Länder genannt, in denen Menschen bereit sind, sich eine Niere abkaufen zu lassen. Auch der Kosovo wird oft angeführt. Organhandel sei immer wieder ein Thema bei Gesprächen mit Flüchtlingen aus Balkanstaaten, berichtet Gerald Tatzgern, der im österreichischen Bundeskriminalamt (BK) für die Schlepperbekämpfung zuständig ist. „Wir erfahren aber nie etwas Konkretes. Es wird uns viel berichtet, aber das, was uns erzählt wird, scheint alles aus zweiter Hand zu sein“, sagt Tatzgern. Eines könne er aber sicher sagen: „Wir haben keine Hinweise darauf, dass Österreicher in den Kosovo fahren, um sich dort ein Organ zu besorgen.“

Im internationalen Vergleich ist die Versorgung in Österreich nämlich relativ gut: Es sind wesentlich mehr Spenderorgane verfügbar als in anderen Ländern. Grund dafür ist die Widerspruchsregelung, wonach jeder Österreicher Organspender werden kann, der sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht.

All-inclusive-Spitalsaufenthalt. In schlecht versorgten Staaten ist das Geschäftsmodell „Transplantationstourismus“ entstanden: Die „Makler“ arbeiten wie Reisebüros, die Pauschaltouren nach Südafrika, China oder Indien im Programm haben. Nur ist der Höhepunkt der Reise eben nicht eine Safari oder der Besuch eines bedeutenden Bauwerks, sondern die Transplantation einer neuen Niere oder Leber. Bevor der Patient anreist wurden die nötigen medizinischen Test an den Spendern durchgeführt. Blutgruppe und Gewebstypus müssen stimmen, damit der Körper das neue Organ nicht abstößt. In den Kliniken treffen Empfänger und Spender nie aufeinander. Ärzte führen die Transplantation nach Dienstschluss oder am Wochenende durch und verdienen sich damit ein schönes Zubrot zu ihren meist niedrigen Gehältern. Die Krankenhausleitung drückt – gegen einen anständigen Geldbetrag – ein Auge zu und lässt ihren Ärzte in der Freizeit freie Hand.


Nur nach Vorauszahlung. Als solch ein „Organmakler“ tritt im Internet ein Amerikaner namens Jim Cohan auf, der sich als „Transplantations-Koordinator“ bezeichnet. Innerhalb weniger Wochen will er den Kontakt zu einem „modernen Spital“ hergestellt haben, „in dem englischsprechende Mediziner arbeiten, meist in den USA ausgebildet“. Und ist erst einmal die nötige Vorauszahlung auf seinem Konto eingegangen, beginnt die Suche nach dem passenden Spender. 115.000 US-Dollar kostet eine neue Niere, inklusive Flug und Spitalskosten. Herz, Lunge oder Leber kommen auf je 225.000 US-Dollar. Alles sei legal, keines der Organe „gekauft oder gehandelt“, versichert Jim Cohan auf der Webseite – es ist derselbe Jim Cohan, der laut dem Magazin „Forbes“ in den 90er-Jahren einige Monate in einem italienischen Gefängnis verbracht hat, weil wegen illegalen Organhandels gegen ihn ermittelt wurde. Details über den Modus Operandi der Organhändler wurden im Jahr 2004 bekannt, als in Südafrika ein internationaler Ring ausgehoben wurde. Der Schock saß tief, als sich herausstellte, dass sich Ärzte einer äußerst angesehen Klinik in der Hafenstadt Durban durch illegale Transplantation ein schönes Taschengeld verdient hatten.

Die „Verkäufer“ kamen aus Brasilien, wo sie von insgesamt elf Mittelsmännern in den Slums angeworben wurden. 10.000 US-Dollar bekamen sie für eine Niere. Die „Käufer“ stammten zum Großteil aus Israel und hatten 120.000 US-Dollar für das Service hingeblättert. Beide Parteien wurden nach Durban geflogen, wo an Wochenenden zwei Ärzteteams im Einsatz waren. Während die Empfänger eine erstklassige Behandlung genossen, wurden die Spender meist viel zu früh und ohne die notwendige Nachbehandlung nach Hause geschickt. Die involvierten Ärzte stehen derzeit in Südafrika vor Gericht.

Religiöse Vorbehalte. Immer wieder führen die Spuren der Ermittler nach Israel. Gibt es andernorts oft lange Wartezeiten, kommt dort Hilfe für viele meist zu spät. Grund dafür ist, dass orthodoxe Juden, die rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, praktisch von vornherein als Spender ausscheiden. Zwar hat das Oberrabbinat schon Mitte der 80er-Jahre grundsätzlich jedem freigestellt, ob er Organe spenden oder ein fremdes Organ entgegennehmen will. In der Praxis gibt es jedoch recht unterschiedliche Handhabungen. Insgesamt steht die ultraorthodoxe Bevölkerung dem Thema noch mit großer Skepsis gegenüber und entscheidet sich eher gegen einen Spenderausweis. Patienten, die über das nötige Kapital verfügen, gehen deshalb ins Ausland, um dort das lebenswichtige Organ zu kaufen. Die Krankenkasse erstattet die Kosten für eine gekaufte Niere.

Komplikationen nach illegalen Transplantationen seien keine Seltenheit, sagt der Wissenschaftler Caplan. „Das medizinische Personal ist meist nicht so ausgebildet, wie man sich das erwarten würde. Die Empfänger wissen das – und machen es trotzdem.“

Weit größere gesundheitliche Problem können aber für die Spender auftreten. „Oft ist keine psychologische und medizinische Vor- und Nachbehandlung gegeben. Die Spender wissen meist nicht, worauf sie sich tatsächlich einlassen und welche gesundheitlichen Konsequenzen auf sie zukommen“, erklärt Nicole Maric vom UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), das sich auch mit Organhandel befasst.

Verdächtige Narbe. Wer eine große Operationsnarbe an verdächtiger Stelle aufweist, wird nicht selten von seiner Umgebung diskriminiert. „Männer und Frauen gelten oftmals als weniger wert und werden von der Gesellschaft ausgegrenzt. Dies wiederum hat ein vergrößertes Schamgefühl und Isolation zur Folge“, sagt Maric. Und für kaum einen der Nierenspender verbessere sich die wirtschaftliche Lage. Im Gegenteil: Durch gesundheitliche Beeinträchtigungen können viele nicht mehr ihrer ursprünglichen Beschäftigung nachgehen und haben so ein geringers Einkommen als vorher.


Exekutierte Häftlinge. Einen eigenen Weg zur Beseitigung der Organknappheit hat China eingeschlagen: 65 Prozent aller im Land transplantierten Organe stammen von Hingerichteten. In Berichten von Menschenrechtsorganisationen ist die Rede davon, dass Exekutionen in den Gefängnissen so angesetzt wurden, dass sie mit der Ankunft von Organempfängern zusammenfielen. Höhere Stellen bestätigen sogar, dass Gefängnisse als menschliche Ersatzteillager dienten, in denen sich Behörden je nach Bedarf bedienten. Nach scharfer internationaler Kritik hat China mittlerweile mit dem Aufbau eines Spenderregisters begonnen, um den Schwarzmarkt einzudämmen.

Strenge Gesetze nötig. Darüber, wie man Organhandel am effektivsten bekämpft, scheiden sich die Geister. Manche fordern die Legalisierung und somit die Kommerzialisierung des Organmarktes, was Ethik-Kommissionen als bedenklich ansehen. Auch Bioethiker Arthur Caplan lehnt das ab. Organspenden von Lebenden sollten freiwillig bleiben und aus altruistischen Gründen gemacht werden.

(c) Die Presse / JV

„Grundsätzlich sollten Organspenden und Transplantationen sehr genau reguliert werden, sodass es keine Gesetzeslücken gibt, die ausgenutzt werden können“, meint Nicole Maric von der UNODC. Verstöße gegen das Gesetz müssten aber auch strafrechtlich verfolgt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.