Timoschenko: "Habe Gesetze nicht verletzt"

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Die ukrainische Ex-Premierministerin Julia Timoschenko ortet autoritäre Tendenzen unter Präsident Janukowitsch. Gegen sie wird wegen Amtsmissbrauchs und Veruntreuung von Staatsgeldern ermittelt.

Kiew. Die Spannungen der letzten Monate sind an Julia Timoschenko nicht spurlos vorbeigegangen: Sie ist schmal geworden. Nachdenklich sitzt sie in ihrem Büro, das wie ein Abbild der ukrainischen Gesellschaft wirkt: Auf der einen Seite ein ultramoderner Flachbildschirm im XXL-Format, an der Wand gegenüber religiöse Bilder und Ikonen.

Gerade erst musste Timoschenko wieder bei der Staatsanwaltschaft zur Vernehmung erscheinen. Gegen sie wird wegen Amtsmissbrauchs und Veruntreuung von Staatsgeldern ermittelt, sie darf das Land nicht verlassen. Die Justiz ging auch gegen andere Minister ihres einstigen Kabinetts vor, mehr als ein Dutzend Oppositionspolitiker sitzt in Haft.

Die Presse: Wie lange wird es in der Ukraine noch eine freie Opposition geben?

Julia Timoschenko: Präsident Janukowitsch hat Angst vor einer starken Opposition, deshalb übt er diesen Druck auf meine Partei, meine Verbündeten und mich aus. Wenn er uns nicht fürchten würde, würde er uns ignorieren. Aber wir werden auch in Zukunft Bestandteil der politischen Landschaft sein.

Seit Dezember stehen Sie unter Anklage. Premier Asarow hat die Arbeit Ihrer Regierung untersuchen lassen und die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Haben Sie Angst, am Ende im Gefängnis zu landen?

Ich kann nicht voraussagen, ob ich im Gefängnis landen werde, unsere Gerichte arbeiten nicht mehr unabhängig. Was ich sagen kann, ist, dass ich während meiner Zeit als Ministerpräsidentin die Gesetze nicht verletzt habe.

Warum ist die Opposition im Kampf gegen die Regierung uneinheitlich und teilweise zerstritten?

In einer Demokratie gibt es Opposition aus verschiedenen Richtungen. Nur autoritäre Regime halten sich eine einzige Opposition. Das wird in der Ukraine gerade versucht. Die Regierung arbeitet bereits daran und will sich im Parlament eine handzahme Gruppe halten. Das sind Tendenzen, die in unseren Nachbarländern bereits Realität sind. Noch hat die Ukraine die Möglichkeit, ein solches Schicksal abzuwenden.

Die Führung der Ukraine will das Land 2012 bei der mit Polen ausgetragenen Fußball-EM als weltoffenes, modernes Land präsentieren. Wie sollten sich die UEFA und die Sponsoren verhalten?

Die Ukraine wurde 2007 ausgewählt, weil wir damals als das demokratischste Land innerhalb der GUS-Staaten galten. Bei uns gab es freie Wahlen, Meinungsvielfalt und unabhängige Medien. Ich rate allen Verantwortlichen, genau hinschauen und zu entscheiden, ob die Ukraine noch das Land ist, an das man dieses Event vergeben hat.

Könnte ein radikaler Schritt, etwa der Anschluss der Ostukraine an Russland, eine Lösung für die momentane Spaltung des Landes sein?

Eine Spaltung lehne ich kategorisch ab. Die Vereinigung der West- und der Ost-Ukraine war die Voraussetzung für unsere Unabhängigkeit. Generationen haben darum gekämpft, viele haben ihr Leben verloren, daran sollten alle, die bei uns Politik betreiben, stets denken.

Das US-Institut Freedom House stuft die Ukraine in ihrem jüngsten Jahresbericht nicht länger als freies, demokratisches Land ein. Ihr ehemaliger Wirtschaftsminister Bogdan Danilischin hat in Tschechien politisches Asyl erhalten. Welche Unterstützung aus dem Westen ist jetzt nötig?

Im Ausland beginnt man, die politische Situation in der Ukraine richtig einzuschätzen. Das Europäische Parlament und der Europarat haben Ende 2011 Resolutionen zur Lage in meinem Land verabschiedet. Der Westen unterstützt die Politik Janukowitschs nicht. Der neueste Bericht von Freedom House zeigt die derzeitige Tragödie schwarz auf weiß.

Werden in der Ukraine demnächst Zustände wie in Weißrussland oder Kasachstan herrschen?

Heute kann keiner sagen, ob die Parlamentswahl frei und fair verlaufen wird, der Termin wurde bereits von März 2011 auf Herbst 2012 verschoben, aber das wird Janukowitsch nicht retten. Freie Wahlen würde er nicht gewinnen.

Zur Person

Julia Timoschenko war zweimal ukrainische Premierministerin, zuletzt Dezember 2007 bis März 2010. Neben dem späteren Präsidenten Viktor Juschtschenko war sie eine Leitfigur der Revolution 2004. An der Regierung bot das Duo ein Bild der Zerstrittenheit, was dem Ansehen des Orangen Lagers stark schadete. Der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch löste nach seinem Wahlsieg Anfang 2010 Timoschenko ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2011)

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