Willkommen in der neuen arabischen Welt

Schneller, als ich je zu träumen gewagt hätte, machten sich die Ägypter das tunesische Beispiel zu eigen.

Vor zehn Tagen stand ich auf dem Flughafen Tunis an der Passkontrolle. Der Beamte blätterte nicht wie üblich grimmig in meinem Pass, stattdessen drängte es ihn, mit den wenigen Ankommenden zu reden: „Was hältst du von unserer Revolution?“, fragte er. Als ich ihm zulächelte und sagte, dass wir hofften, in Ägypten demnächst etwas Ähnliches zu beginnen, brachen bei dem Beamten alle Dämme. Er hielt einen langen Vortrag, wie stolz er auf die Tunesier sei, und verabschiedete mich mit einem fröhlichen „Viel Spaß bei der Arbeit, und pass auf dich auf!“. „Willkommen in der neuen arabischen Welt“, dachte ich mir. Noch vor zwei Tagen war der gleiche Grenzbeamte ein Teil des Apparats von Diktator Ben Ali und hätte jedem Journalisten den Einlass verwehrt.

Nun, keine zwei Wochen später, bin ich zurück in Kairo. Während ich diese Zeilen schreibe, ist Ägypten fast vom Rest der Welt abgeschnitten. Das Internet ist gekappt, die Handynetze sind unterbrochen. Was ich dem Grenzbeamten gesagt habe, ist schneller Wirklichkeit geworden, als ich zu träumen gewagt habe: Auf Ägyptens Straßen tobt die Revolte gegen das Mubarak-Regime. Zwei Jahrzehnte arbeite ich in der Region schon als Korrespondent. Die Lieblingsgeschichten der Redaktionen handelten von al-Qaida und Islamisten. Aber wer spricht dieser Tage noch von al-Qaida? Selbst Osama Bin Laden und Ayman al-Zawahiri, die sonst gerne mit bizarren Videobotschaften Ereignisse in der arabischen Welt kommentieren, hat es offenbar die Sprache verschlagen.


In Ägypten begann das Jahr mit einem schlimmen Attentat auf eine koptische Kirche in Alexandria. Der Anruf ereilte mich, als ich auf dem Heimweg von der Silvesterfeier war. Dieses Jahr kann ja heiter werden, dachte ich und hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es im arabischen Drehbuch tatsächlich weitergehen würde. Hätte mir jemand erzählt, dass das Mubarak-Regime kurz vor dem Sturz steht und Ben Ali wie ein Dieb bei Nacht aus Tunis flieht, ich hätte ihn wohl ausgelacht. Das ist keinen Monat her.

Vor den Demos am Freitag wurden per SMS lange Listen verschickt, von welchen Moscheen die Proteste losgehen sollten. Auf der Liste standen auch zahlreiche Kirchen. Die Menschen marschieren vereint gegen das verhasste Regime. Diese Atmosphäre war schon ein wenig bei den Protesten nach dem Attentat in Alexandria spürbar, als junge Christen, die auf die Straße gingen, oft von muslimischen Jugendlichen begleitet wurden. Sie hatten schon damals gemeinsam ihren Ärger gegen das Regime gerichtet und ihm vorgeworfen, zwecks Machterhalt einen muslimisch-christlichen Dissens zu schüren. Damals, als die Jugendlichen mit Plakaten, die Halbmond und Kreuz zeigten, „Nieder mit Mubarak!“ riefen, hätte man vielleicht ahnen können, was nur drei Wochen später geschehen würde.

Im Moment wird die politische Landschaft in der arabischen Welt völlig umgepflügt, und keiner weiß, welche neuen Pflanzen aus dem Boden sprießen werden. Sie werden sich aber sicherlich nicht mit den alten politischen Kategorien fassen lassen. Die Ereignisse rasen, die Köpfe haben Mühe zu folgen. „Unsere Jugendlichen rennen zehn Schritte voraus, und weder die Politik noch wir Journalisten kommen hinterher“, erklärte mir in Tunis der Chefredakteur einer Tageszeitung. Wie recht er hat. [Wolfgang Breunin]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2011)

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