"Mubarak, heute ist dein letzter Tag"

Mubarak heute dein letzter
Mubarak heute dein letzter(c) AP (Lefteris Pitarakis)
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Während Demonstranten in Ägypten immer vehementer den Abgang des Langzeitpräsidenten fordern, nützen Plünderer das Chaos aus. Selbst vor dem Nationalmuseum machen sie nicht halt.

Panzer manövrieren mit röhrenden Motoren vor dem Ägyptischen Museum. Im Garten, zwischen Ramses-Statuen, Reliefs und Tempelsäulen, patrouillieren Elitesoldaten mit Schnellfeuergewehren, auf dem Dach hocken Scharfschützen. Im Inneren des Kuppelgebäudes halten sie Polizisten gefangen, die am Abend zuvor versucht haben, die wertvollen Vitrinen zu plündern. Zwei Mumien wurden angeblich zerstört. Immer noch wabert bedrohlich der dicke, schwarze Rauch aus der benachbarten Zentrale von Präsident Hosni Mubaraks Regierungspartei über diesem Juwel ägyptischer Geschichte, in dem auch die Goldmaske des Tutenchamun ausgestellt ist.

Die Gefahr für das weltberühmte Touristenziel ist noch nicht gebannt. Das Hochhaus nebenan brennt seit Freitagabend. Auch zwölf Stunden später schlagen immer noch hohe Flammen aus den oberen Stockwerken. Wenn der zwölfstöckige Betonkasten einstürzt, würde auch das Museum schwer beschädigt werden.

Auf den Nilbrücken und an Straßenkreuzungen kurven die Autofahrer den ganzen Samstag hupend und fluchend um die ausgebrannten Mannschaftswagen der Sonderpolizei herum. Die verkohlten Iveco-Kästen mit ihren typischen vier Gitterfenstern auf beiden Seiten sind für die Menschen der Inbegriff der staatlichen Unterdrückung. In ihnen werden die Prügelpolizisten zum Einsatz und die gefangenen Demonstranten weggefahren.

Auch am Samstag versammeln sich wieder Tausende auf dem Platz der Befreiung, während andere das Schlachtfeld der vergangenen Nacht aufräumen. Der Arzt Ahmed Issaid hat kohlrabenschwarze Hände, mit einem Besen fegt er Scherben und Asche zusammen. „Wir lieben unser Land, wir wollen es nicht zerstören“, sagt er. „Aber wir wollen nicht mehr so weiterleben wie bisher.“ Junge Helfer schleppen Plastiksäcke mit Müll davon, andere schieben die Trümmer einer flachen Straßenmauer zusammen, aus der sich Demonstranten in der Nacht zuvor ihre Wurfgeschosse gebrochen hatten.


Waffendepots geplündert.
Die schreckliche Bilanz des Freitags – nahezu 100 Tote und weit über tausend Verletzte im ganzen Land. Und am Freitagnachmittag gibt es bereits wieder Tote, Demonstranten haben versucht, das Innenministerium zu stürmen. Egypt Air hat alle Flüge eingestellt, erste Staaten beginnen, ihre Touristen zurückzuholen. Selbst durch Luxor mit seinen prächtigen Tempelruinen und Königsgräbern kreisen seit Samstagfrüh die Panzer. In Rafah auf dem Sinai sprengte die Menge den Sitz der verhassten Staatssicherheit in die Luft, im ganzen Land gingen 60 Polizeistationen in Flammen auf, 17 davon allein in Kairo. Und fast überall ließen die Plünderer Waffen und Munition aus den Depots mitgehen.

In Kairo wurden laut dem Sender al-Jazeera sogar alle Verbrecher des Abu-Zaabal-Gefängnisses freigelassen, die jetzt in den besseren Vierteln der Metropole auf Tour sind. Im Zentrum haben die Besitzer ihre Läden mit schweren Eisentoren verriegelt, triumphierend ziehen zwei Männer vorbei, geraubte Plastikbesen auf den Schultern. Auf der Einkaufsstraße Gamit Ad-Dawal im wohlhabenden Mohandessin, wo viele westliche Marken Filialen haben, sind die Plünderungen in vollem Gang. Banden aus den Armenvororten schleppen davon, was sie tragen können – Computer, Bürostühle, Satellitenreceiver und Haushaltsgeräte. In vielen Teilen der 20-Millionen-Metropole haben Bürger begonnen, für die Nächte Bürgerwehren zu organisieren – ausdrücklich ermutigt von der Armeeführung, die sich 24 Stunden nach ihrem Ausrücken aus den Kasernen nicht mehr in der Lage sieht, den Raubzügen Einhalt zu gebieten. Immerhin haben es die Soldaten geschafft, die Plünderer vor einer Gelddruckerei der Nationalbank zurückzuschlagen.

Nur Mubarak scheint vom Abgleiten seines Landes in Chaos und Selbstzerstörung ungerührt. Kurz nach Mitternacht zeigte er sich erstmals seit Beginn der Unruhen im Staats-TV. Uneinsichtig und unnachgiebig pochte der 82-Jährige darauf, er sei immer solidarisch mit den Armen gewesen, und kündigte Reformen an.

Am Samstag ernannte er eine neue Regierung – und scharte die engsten Getreuen aus dem Sicherheitsbereich um sich: Der mächtige Geheimdienstchef Omar Suleiman wurde Vizepräsident – ein Posten, den Mubarak erstmals besetzte –, der Ex-Luftwaffenchef und bisherige Luftfahrtminister Ahmad Shafiq Premier.


Souvenirfoto mit Panzer. Dass die Menschen auf den Straßen nach seinem Rücktritt rufen, scheint bei Mubarak nicht angekommen. In Endlosschleife wird die Rede im Rundfunk wiederholt, viele hören sich Mubarak per Autoradio immer wieder an, als könnten sie das alles nicht glauben. „Mubarak, hau ab“, haben Demonstranten inzwischen sogar mit schwarzer Farbe auf einige der sandfarbenen M-48-Panzer gesprayt, die vor staatlichen Gebäuden Wache halten. So mancher Passant posiert stolz unter dem Kanonenrohr für ein Foto, bevor ihn die Soldaten höflich verscheuchen. Bisher macht die Armee nicht den Eindruck, dass sie sich für ihren ehemaligen Luftwaffenkameraden Hosni Mubarak noch groß ins Zeug legen will. Oberbefehlshaber Sami Anan ist inzwischen Hals über Kopf aus den USA zurückgekehrt. Nach Informationen des Nachrichtendiensts RNN beriet er sich den ganzen Samstag mit seinen Kommandeuren, ob das Militär den Ewigpräsidenten fallen lassen soll.

US-Präsident Barack Obama hat seinen Verbündeten Mubarak zwar zu Reformen aufgefordert (siehe nebenstehender Text), doch der Stahlhändler Abdel Hakim glaubt ihm nicht: „Alles nur warme Worte.“ Andere ziehen die silbrigen Granatenhülsen für Tränengas aus der Tasche und zeigen stumm auf das aufgedruckte „Made in U. S.“.

„Mubarak, wach auf. Heute ist dein letzter Tag“, skandieren die Menschen derweil wieder am anderen Ende des Tahrir-Platzes. Bald haben wir es geschafft, sagen sie, dann sind wir frei, und alle arabischen Nationen werden unsere Revolution bewundern. Doch noch sind sie nicht am Ziel. Vor Einbruch der Dunkelheit marschieren an allen wichtigen Plätzen wieder Hundertschaften der schwarz gekleideten Prügelpolizei auf. Die Tränengasgranaten aus US-Produktion sind nachgeladen. Und die Armeeführung lässt per TV verbreiten, die Ausgangssperre für „das große Volk der Ägypter“ beginne bereits um 16 Uhr. Und anders als tags zuvor werde man diesmal richtig durchgreifen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2011)

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