Kairo wird zur Kampfzone

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LIVEBERICHT Die Anhänger von Staatschef Hosni Mubarak schlugen zurück. Steine und Molotow-Cocktails flogen, die Armee gab Schüsse ab. Das Regime will nicht weichen.

Plötzlich fielen Schüsse. Kein Dauerfeuer, aber sieben bis neun einzelne Schüsse. Sirenen von Rettungswagen heulten, Menschen schrien. Dazwischen Allahu-Akbar-Rufe – „Gott ist groß“. Ein Helikopter zog seine Kreise über dem Tahrir-Platz im Zentrum Kairos, wo seit Tagen, Tausende gegen Ägyptens Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak demonstrieren.

Am Mittwoch wurde er zum Kampfplatz. Denn das Regime schlug zurück. Anhänger des Präsidenten versuchten, den Platz zu stürmen. Sie waren ganz plötzlich aufgetaucht, griffen die Demonstranten von Kamel- und Pferderücken aus an. Steine flogen, Männer prügelten sich mit Fäusten und Stangen, auch Messer waren zu sehen. Schon am frühen Abend gab es hunderte Verletzte, doch die Ambulanzen konnten zunächst nicht zu ihnen vordringen.

Auf einmal flogen außer Steinen auch Molotow-Cocktails, einige landeten im Hof des Ägyptischen Museums. Erste Feuerstöße aus automatischen Waffen waren zu hören. Das musste die Armee sein, die offenbar Warnschüsse abgegeben hatte. Wenig später wurde ein erstes Todesopfer gemeldet, ein junger Rekrut. Und bereits mehr als sechshundert Verletzte.

Armee: Schluss mit den Protesten

Am Nachmittag hatte die Armeeführung Gegner und Anhänger Mubaraks aufgefordert, Ruhe zu bewahren. Eine Eskalation kann den Streitkräften den Vorwand zum Eingreifen geben, um die Proteste zu beenden. Es machte ganz den Eindruck, als sollte ein solches Eingreifen der Armee von den Schlägertrupps provoziert werden. Bei einigen, die überwältigt werden konnten, fand man Dienstausweise der Sicherheitskräfte. Oppositionsführer Mohamed ElBaradei forderte sogar ein Eingreifen der Armee – freilich zum Schutz der angegriffenen Demonstranten.

Doch die Armee verhielt sich bis zum späten Abend neutral. Die rund um den Platz postierten Soldaten versuchten nur, Reporter zu hindern, die bürgerkriegsartigen Szenen zu filmen. „Sie haben mir die Kamera abgenommen“, rief ein französischer Reporter mit zerrissenem T-Shirt. Er hat Glück gehabt, dass er an die Armee geraten ist. Denn Mubaraks Mob machte regelrecht Jagd auf Journalisten, einige trugen Blessuren davon.

Erst am Montag hatte sich die Armee scheinbar unmissverständlich auf die Seite der  Massen gestellt: Sie legte sich fest, nicht auf die Regimegegner zu schießen, deren Anliegen sie „legitim“ nannte.
Nun, nach der Rede Mubaraks in der Nacht auf Mittwoch, schwenkte sie um. Das Militär rief die Bevölkerung auf, die Proteste zu beenden und zum normalen Leben zurückzukehren.

"Ausländische Mächte am Werk“

Das Regime trotzt weiter dem internationalen Druck: Ein sofortiger Beginn des Machtwechsels sei ausgeschlossen, hieß es. Und am späten Abend stellte das Regime seinerseits Bedingungen: Verhandlungen könne es nur nach einem Ende der Demonstrationen geben, sagte der neue Vizepräsident Omar Suleiman. Tags zuvor hatte sich das noch anders angehört.

Der Führungskreis um Mubarak scheint wieder Oberwasser zu spüren, da es ihm gelang, erstmals eine nennenswerte Zahl von Gegendemonstranten auf die Straße zu bringen. „Wir wollen keine ausländischen Journalisten“, meinte einer der Mubarak-Anhänger: „Die internationalen TV-Stationen lügen. Wir Ägypter lieben Mubarak.“ Mächte von außen seien am Werk, um die friedlichen Ägypter gegeneinander aufzuhetzen. Der Mann besitzt eine Wechselstube: „Seit demonstriert wird, ist mein Geschäft kaputt.“ Die Gegner des Präsidenten müssten endlich aufgeben. „Mubarak hat doch ein großzügiges Angebot gemacht und gesagt, dass er nicht mehr antritt.“

„Wenn Mubarak geht, bricht alles zusammen“, rief Alaa Abdou. Der junge Mann ist Fußballspieler Die Menge skandierte ihre Parolen immer lauter. „No food, no free after Mubarak“, hatten einige in holprigem Englisch auf ihr Transparent geschrieben.

Ägyptens Staatschef hatte in seiner Ansprache zugesagt, bei der für September geplanten Präsidentenwahl nicht mehr anzutreten. Die Demonstranten beeindruckte dies nicht. Bereits am Vormittag war der Platz im Zentrum Kairos mit Menschen übersät. Und ihre Forderungen waren deutlich: „Das Volk verlangt die Beseitigung des Regimes“ war auf einem gigantischen Banner zu lesen. „Mubaraks Wort ist nichts wert. Wir glauben ihm nicht mehr“, sagte Ahmed, ein Universitätslektor mit schwarzem Vollbart. „Wir werden keinesfalls erlauben, dass er bis zur Präsidentenwahl im Herbst im Amt bleibt.“

Neben ihm reckte ein Mann ein Schild in die Höhe: „Mubarak, gute Reise nach Saudiarabien“ – eine Anspielung auf Tunesiens Staatschef Ben Ali, der vor knapp drei Wochen nach Massendemonstrationen flüchten musste.

Front der Gegner wird brüchig

„Mubarak hat die Wahl“, fuhr Ahmed fort. „Er kann so enden wie Ben Ali oder wie Ceauşescu.“ Rumäniens kommunistischer Machthaber Ceauşescu war nach einer Revolution 1989 erschossen worden. Später am Abend lichteten sich die Reihen. Aber die Regimegegner hatten den Platz zunächst gegen Mubaraks Schläger behauptet.

Doch die Front der Mubarak-Gegner ist brüchig geworden. „Ich bin zufrieden mit dem, was er versprochen hat“, meinte der Arzt Samih, der am Abend die Rede des Präsidenten auf einer Leinwand mitverfolgt hatte. Das Land müsse wieder zur Ruhe kommen. Doch davon schien Ägypten am Mittwochabend weit entfernt zu sein.

(von unserem Korrespondenten Wieland Schneider (Kairo))

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