Das jämmerliche Europa verrät die Revolution in Ägypten

Die EU-Außenpolitik erschöpft sich darin, den Amerikanern dabei zu helfen, das alte ägyptische Regime kosmetisch zu liften und am Leben zu erhalten.

Helden, Schurken, Intriganten – im ägyptischen Drama herrscht kein Mangel an starken Charakteren. Der Beitrag Europas besteht jedoch bislang größtenteils darin, jämmerliche Gestalten über die Bühne huschen zu lassen. Insgesamt – dieses Resümee kann man am Tag dreizehn der leidenschaftlichen Proteste in Ägypten getrost ziehen – war der Auftritt der EU unter jeder Kritik. Unkoordinierter, zögerlicher, ideenloser und irrelevanter hätte sich die Union kaum präsentieren können.

Noch nie trat so deutlich zutage, was auch die Wohlwollendsten von Beginn an ahnten oder gar wussten: Der Posten eines hohen Repräsentanten für auswärtige Angelegenheiten der Union ist eine Fehlkonstruktion. Was daran repräsentativ beziehungsweise hoch sein soll, wird wohl für immer rätselhaft bleiben. Nur eine äußerst starke Persönlichkeit könnte dieser Funktion vielleicht gestalterischen Sinn verleihen und tatsächlich dafür sorgen, dass Europa außenpolitisch mit einer Stimme spricht. Lady Catherine Ashton, die seit 1. Dezember 2009 weitgehend unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsgrenze durch die Welt tingelt, ist leider nicht mit der nötigen Ausstrahlung gesegnet und lässt keinerlei Gestaltungswillen erkennen. Deshalb hat man sie vermutlich auch ausgewählt.

Doch selbst wenn sich Lady Ashton dazu aufschwingen wollte, als Außenministerin der EU zu agieren – man ließe sie sowieso nicht. Im Zuge der Ägypten-Krise führten die fünf großen Mitgliedsländer das rachitische außenpolitische System Europas endgültig ad absurdum. Anstatt Ashton voranzuschicken und mit dem nötigen Pouvoir auszustatten, setzten die Regierungschefs der Big Five gleich zwei Mal ohne Rücksprache mit den 22 anderen gemeinsame Erklärungen zu den Entwicklungen in Kairo auf. Wer so agiert, sollte die oft beschworene gemeinsame Außenpolitik lieber gleich ganz bleiben lassen. Das wäre ehrlicher.

Europa hätte im Nahen Osten alle Möglichkeiten, um stärker Einfluss zu nehmen. Die meisten arabischen Länder (und auch Israel) sind in hohem Maße wirtschaftlich abhängig von der EU. Doch wenn es in der Außenpolitik ans Eingemachte geht, überwiegen eben noch immer nationale Interessen und Eitelkeiten. Da schlägt man sich lieber gegenseitig die Hebel aus der Hand, als entschlossen gemeinsam zu agieren.

Und so hüpfen die Europäer wieder einmal verhältnismäßig hirnlos nach, was die Amerikaner vorhüpfen. Stabilität war von Beginn der Ägypten-Krise an die Losung, die US-Außenministerin Hillary Clinton ausgab. Als die US-Regierung bemerkte, dass Hosni Mubarak vielleicht doch nicht zu halten sein werde, setzte sie auf den ägyptischen Geheimdienstchef Omar Suleiman. Es war wohl kein Zufall, dass Mubarak ausgerechnet ihn jetzt zum ersten Vizepräsidenten seiner mehr als 30-jährigen Amtszeit bestellte.


Suleiman kennen die Amerikaner. Ihn schätzen sie nicht zuletzt auch wegen seiner guten Kontakte zu Israel. Dass er ein Pfeiler des verhassten autoritären Systems ist, das die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz zum Teufel jagen wollen, spielt offenbar keine besondere Rolle. Bei dem geordneten Übergang, den die Amerikaner predigen, sind ihnen drei Punkte wichtig: dass Ägypten ein Verbündeter der USA bleibt, es den Friedensvertrag mit Israel aufrechterhält und die in ihrer Popularität überschätzten Moslembrüder nicht nach oben kommen. Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass das alte Regime mit einigen kosmetischen Veränderungen an der Macht bleibt. Geopolitisch ist das zumindest kurzfristig nachvollziehbar, ein Verrat an der Demokratie bleibt es trotzdem. Aber wer weiß? Vielleicht haben da einige die Rechnung ohne das ägyptische Volk gemacht. Es ist fraglich, ob sich die Ägypter nach so vielen Opfern tatsächlich Omar Suleiman vor die Nase setzen lassen.

Um auf der sicheren Seite zu sein, wollen die USA eine Situation, die wie ein heißer Lavastrom quer durch den Nahen Osten fließt, möglichst schnell wieder verfestigen und in geordnete Bahnen lenken. Es kann sein, dass so eine Jahrhundertchance verspielt wird: die Chance auf die Demokratisierung einer Region, von der man schon geglaubt hat, sie sei aus der Geschichte gefallen. Europa aber, das von jeder Veränderung in seiner südlichen Nachbarschaft am unmittelbarsten betroffen ist, schaut wieder einmal nur zu.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2011)

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