US-Präsident Obama beschwört die Sehnsucht nach Demokratie und würdigt die friedliche Vision. Er erinnert in seiner Rede an den Fall der Berliner Mauer.
[Washington] Der Präsident machte kein Hehl aus seinen Emotionen, sein Lächeln ging in ein Strahlen über. Dies sei ein Moment, in dem Geschichte geschrieben werde, schwärmte Barack Obama am Donnerstag in Marquette an der University of Michigan. Gemeint waren nicht die Pläne zur Beschleunigung des Internets im Mittleren Westen der USA, die er eigentlich vorstellen wollte, sondern die Revolution im Nahen Osten und die Erwartung, die Spekulationen um den Rücktritt von Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak geweckt hatten. CIA-Chef Leon Panetta hatte bei einem Kongress-Hearing die Gerüchte ganz offen hinausposaunt.
Wie sich herausstellte, war der Jubel voreilig und kam um 24 Stunden zu früh. Am frühen Freitagvormittag erhielt der Präsident im Oval Office, während einer Sitzung in seinem Büro, schließlich die erlösende Nachricht von der Demissionierung Mubaraks – Stunden vor der Öffentlichkeit. Die Nervenprobe war ausgestanden, die politische Achterbahnfahrt der vergangenen 18 Tage zu Ende.
Sorge in Amman und Riad
Zweimal hatte er seit Ausbruch der Krise eine Mubarak-Ansprache umgehend mit einer eigenen TV-Rede kommentiert. Doch am Freitag ließ sich Obama Zeit mit seiner ersten Reaktion, die gut überlegt sein wollte und nicht Ausdruck einer spontanen Erleichterung sein sollte, die sich im Machtzentrum der westlichen Welt nach den Tagen der wachsenden Ungeduld und aufgestauten Frustration breitgemacht hatte. Der Präsident beriet sich eingehend mit seinem Krisenstab, er stand in Kontakt mit den Militärmachthabern in Kairo und mit seinen Verbündeten in der arabischen Welt, die jetzt nicht nur bange nach Kairo blickten, sondern auch nach Washington.
Würde Obama die Demokratie-Anhänger ermuntern wie zuletzt, als er den Demonstranten immer deutlicher seine Sympathien entgegengebracht hatte? Das war die große Sorge in Jerusalem, in Amman und in Riad, wo die Angst vor einem ägyptischen Modell, einem Übergreifen der Demokratiewelle – oder im Falle Israels – der Gefahr vor einer Islamisierung eines Nachbarstaats um sich geht. Jordanien, Saudiarabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Israel hatten die Obama-Regierung zuletzt bedrängt, auf Stabilität zu setzen und nicht auf Ungewissheit.
Der Präsident zeigte sich bei seiner Stellungnahme ganz im staatsmännischen Gestus, doch schlug er die teils harschen Warnungen aus dem Wind. Und er hatte auch keine übergeordnete Strategie im Ärmel, als er anhob: „Das ist nur der Anfang. Schwierige Tage liegen vor uns. Wir haben den Aufstieg einer neuen Generation gesehen.“ Er sprach von einem Geist der Einheit, den die Ägypter an den Tag gelegt hätten, und von einer ausgeprägten Sehnsucht nach Demokratie.
„Das Volk hat gesprochen. So funktioniert Demokratie. Die Ägypter haben ihren Wert und ihre Würde entdeckt. Sie haben uns inspiriert.“ Obama forderte die ägyptische Armee neuerlich auf, einen geordneten Übergang zu gewährleisten, den Ausnahmezustand aufzuheben und die Verfassung zu ändern.
Friedliche Vision
Allen Potentaten in der arabischen Welt, Alliierten wie den Königen Abdullah in Jordanien und Saudi-Arabien, musste Unbehagen beschleichen, als Obama den Fall der Berliner Mauer beschwor und den Sturz der Regimes in Tunesien: „Wir hören das Echo der Geschichte.“ Er zitierte die friedliche Vision eines Gandhi oder eines Martin Luther King – und es war zugleich auch ein Nachhall seiner Rede, die er vor eineinhalb Jahren in Kairo gehalten hatte. Die Interpretation blieb dann Pressespecher Robert Gibbs an seinem letzten Arbeitstag überlassen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2011)