Kopten-Anwalt Naguib Gobraiel über die Ängste der Christen in Ägypten und über das Schweigen ihres Bischofs. Die koptische Kirche in Ägypten hat ein zwiespältiges Verhältnis zur aktuellen Umsturzbewegung.
Kairo. Die koptische Kirche in Ägypten hat ein zwiespältiges Verhältnis zur aktuellen Umsturzbewegung. Es gibt zahlreiche junge Christen, die eine Absetzung von Staatschef Hosni Mubarak und seines Regimes befürworten. Viele Kopten aber befürchten auch, dass sie bei einem anschließenden Sieg islamischer Kräfte neue Diskriminierungen hinnehmen müssen.
Naguib Gobraiel (57) ist Professor für Internationales Recht und Vorsitzender der Union ägyptischer Menschenrechtsgruppen (Euhro). Der christliche Rechtsanwalt gehört zu den wichtigsten Stimmen der Kopten, die in Ägypten gegen die Diskriminierung ihrer Kirche kämpfen. Im Gespräch mit der „Presse“ beschreibt er die Anliegen seiner Kirche und ihre inneren Spannungen.
Die Presse: Vizepräsident Omar Suleiman hat ein Komitee eingesetzt, das eine Reform der Verfassung vorbereiten soll. Wie sind die Kopten in dem Gremium vertreten?
Naguib Gobraiel: Nur ein Mitglied ist Christ, ein Richter. Die anderen zehn sind Moslems, darunter ein Professor von Al-Azhar, aber auch der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichts, der früher in allen Fällen von Konversionen gegen die Kopten entschieden hat. Ein anderes Mitglied steht den Moslembrüdern nahe. Wir haben kein volles Vertrauen in dieses Gremium, dass es die Interessen der Kopten wirklich berücksichtigt.
Was sind Ihre Hauptforderungen?
Wir wollen, dass in Ägypten endlich Religionsfreiheit hergestellt wird. Dazu aber muss der Artikel 2 der Verfassung gestrichen werden, der die Scharia als wichtigste Quelle des Rechts in Ägypten festschreibt. Das widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz in Artikel 40 und dem Artikel 46 über die Religionsfreiheit. Wir wollen künftig in Ägypten einen zivilen, religiös neutralen Staat. Aus unserer Sicht muss nicht die gesamte Verfassung geändert werden, nur die Punkte, die einen zivilen Staat verhindern. Für diese Korrektur ist ein Zeitraum von drei Monaten völlig ausreichend. Wir brauchen kein Referendum über eine vollkommen neue Verfassung.
Warum ist Ihnen Artikel 2 so wichtig?
Er ist die Quelle aller Probleme, die wir Kopten in Ägypten haben. Es fängt an bei den Konversionen, wenn der Vater in Ägypten Moslem wird, werden seine Kinder automatisch auch Moslems und bekommen sogar ihre Namen geändert. Wir werden daran gehindert, Kirchen zu bauen, ja sogar vorhandene Kirchen zu renovieren. Ich treffe mich demnächst mit Vizepräsident Omar Suleiman. Ich werde bestürmt von Kopten, die mich anrufen und alle sagen, ich solle mit dem Vizepräsidenten über den Artikel 2 sprechen.
In dem Verfassungsrat sitzt auch ein Vertreter der sunnitischen Lehranstalt Al-Azhar. Warum nicht auch ein koptischer Bischof?
Wir sind sehr enttäuscht von der Leitung unserer Kirche. Zu der Protestwelle im Land hat sie bisher keine Stellungnahme abgegeben. Papst Schenuda III. hat bisher kein Wort der Ermutigung an die Adresse der Jugend gerichtet. Er will unter allen Umständen den Eindruck vermeiden, die koptische Kirche mische sich in politische Fragen ein.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Moslembrüder?
Wir Christen haben Angst vor den Brüdern. Sie haben eine lange Geschichte. Und sie treiben in unseren Augen Spielchen. Ihr eigentliches Ziel ist es, an die Macht zu kommen. Sie geben sich zunächst ganz harmlos, dann aber werden sie sich auf die Macht stürzen wie die Wölfe.
Wie stark schätzen Sie den Rückhalt der Moslembruderschaft in der Bevölkerung ein?
Die Moslembrüder sind sehr gut organisiert. Wir schätzen, dass etwa 40 Prozent der Bevölkerung hinter ihnen steht. Auf dem Tahrir-Platz aber halten sie sich auffallend zurück. Da sieht man sie kaum. Wir haben vor allem Angst vor denjenigen Muslimbrüdern, die in den Verwaltungen sitzen – zum Beispiel in den Regierungsbehörden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2011)