Das Militär hat das Parlament aufgelöst und die Verfassung außer Kraft gesetzt, aber die alte Regierung in ihrem Amt belassen. Die Armee spielt auf Zeit, sehr zum Missfallen der Revolutionäre.
Kairo. Zum ersten Mal seit zwei Wochen hält die Metro wieder unter dem Tahrir-Platz. Nur der beißende Fäkalgeruch in den unterirdischen Fußgängerröhren erinnert noch an die achtzehn Tage Ausnahmezustand über der Erde. Oben packen die Demonstranten zusammen, die Barrikaden sind verschwunden. Gruppen junger Leute mit bunten Plastikbesen, Kehrschaufeln und Müllsäcken sind eifrig unterwegs. Blechlawinen von Autos bahnen sich hupend ihren Weg, vorerst dirigiert von Militärpolizisten.
Die Ruhe nach der Revolution ist freilich noch fragil. Am Sonntag löste das Militär das Parlament auf und setzte die Verfassung außer Kraft. Eine erste Enttäuschung bei den Regierungsgegnern macht sich breit. Denn das Militär will erst nach einer Übergangsphase von sechs Monaten demokratische Wahlen abhalten. Wäre die Verfassung nicht ausgesetzt worden, hätten Neuwahlen bereits innerhalb von sechzig Tagen stattfinden müssen. Doch die Militärführung will, dass zuerst wieder Ruhe einkehrt, und sie will alles auf eine neue Basis stellen. Im Fernsehen kündigte ein Sprecher des Militärrats die Bildung eines Komitees an, das eine neue Verfassung ausarbeiten soll.
Diese würde dann dem Volk zur Abstimmung vorgelegt. Vor allem die Christen im Land hoffen dabei auf einen Wegfall des umstrittenen Artikels 2 der bisherigen Verfassung, in dem die Scharia als wichtigste Quelle des Rechts in Ägypten festgeschrieben ist. Die Moslembruderschaft dürfte hingegen sehr darauf drängen, dass dieser Teil in der Verfassung verbleibt.
Offiziell habe der Oberste Militärrat zwar jetzt den Staat übernommen, sagt der Chirurg Mohamed Zanan, der in den letzten zwei Wochen am Rande des Tahrir-Platzes unter einer Plastikplane Schusswunden und Messerstiche versorgt hat. „Doch die Macht, die hat das Volk. Und wir werden keine Rückkehr zu 1952 erlauben“, setzt er in Anspielung auf den Militärputsch der freien Offiziere unter dem späteren Präsidenten Gamal Abdel Nasser hinzu. „Unser erstes Ziel haben wir erreicht“, sagt er. „Aber wir werden wachsam bleiben und die Armee samt ihren Versprechungen, auf die Reformen aufzupassen, an ihren Taten messen.“
Konflikt Polizei–Militär
Nicht überall in Kairo allerdings blieb es am Sonntag so friedlich wie im Epizentrum der ägyptischen Revolution. Nahe dem berüchtigten Innenministerium gerieten Soldaten mit Polizisten aneinander, die für höhere Löhne und die Wiederherstellung ihres Ansehens demonstrierten. Erst als die Soldaten Warnschüsse in die Luft feuerten, beruhigten sich die Ordnungshüter wieder. „Wir sind keine Verräter!“, riefen sie und forderten die Exekution des früheren Innenministers Habib al-Adly.
Dessen Vermögen ist inzwischen beschlagnahmt. Er darf das Land nicht verlassen, genauso wie der langjährige Premierminister Ahmed Nazif und der am Samstag zurückgetretene Informationsminister Anas al-Fiki. Dieser ist verantwortlich für die Hetzkampagnen der letzten Tage gegen die Demonstranten und ausländischen Journalisten.
Derweil schlug das Oberkommando der Armee am Wochenende politisch die wichtigsten Pflöcke ein. Zum Ärger vieler Oppositioneller bleibt die Regierung unter Ministerpräsident Ahmed Shafiq vorerst im Amt. Um die internationale Gemeinschaft nicht zu verunsichern, soll es auch außenpolitisch vorerst keine Kursänderung geben. Ägypten werde all seine internationalen Verträge weiter anerkennen, darunter den 1979 geschlossenen Friedensvertrag mit Israel, haben die Generäle bereits am Samstag verkündet.
Offen ist das Schicksal des zurückgetretenen Präsidenten Hosni Mubarak. Es gibt Spekulationen, dass er das Land verlassen könnte.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14. Februar 2011)