Massaker in Libyen: Militärjets jagen Demonstranten

Ein Bild aus einem Amateurvideo zeigt Menaschen vor einem brennenden Polizeirevier in Tobruk
Ein Bild aus einem Amateurvideo zeigt Menaschen vor einem brennenden Polizeirevier in Tobruk (c) AP
  • Drucken

Das wankende Gaddafi-Regime setzt Kampfhubschrauber und Flugzeuge gegen die Opposition ein. Doch die ersten Piloten desertierten nach Malta. Libysche UN-Diplomaten und der Justizminister traten zurück.

[KAIRO/TRIPOLIS] Nach fast 42 Jahren an der Macht neigte sich am Montag die Zeit von Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi dem Ende zu. Es kursierten Gerüchte, Gaddafi könnte sich nach Venezuela abgesetzt haben. Der Revolutionsführer dementierte in einem TV-Auftritt.

Der Volksaufstand, der seit Tagen in Libyens Provinzen tobt, erreichte in der Nacht auf Montag auch die Hauptstadt Tripolis. Kämpfe brachen aus, mindestens 60 Menschen starben. Am Morgen danach gingen der Volkskongress, Polizeistationen und Regierungsgebäude in Flammen auf. In Tripolis strömten Zehntausende auf den Grünen Platz im Zentrum der Stadt. „Gaddafi, wo bist du?“, brüllte die Menge. „Komm heraus, wenn du ein Mann bist.“

Bundesheer-Maschine gestartet

Zahlreiche EU-Bürger - darunter mehrere Österreicher - sind am Montagabend mit einer AUA-Maschine aus Libyen kommend am Wiener Flughafen angekommen. Die Reisenden berichteten bei ihrer Ankunft in Wien-Schwechat von wilden Schießereien und völlig chaotischen Zuständen.

Eine Bundesheer-Maschine hat am späten Montagabend 62 EU-Bürger aus Libyen nach Malta ausgeflogen. Mehr ...

Kampfjets landen auf Malta

Doch das Regime setzte auf immer härtere Gegenmaßnahmen: Laut Augenzeugen griffen Kampfhubschrauber und Militärflugzeuge die Demonstranten an. Zwei libysche Kampfflugzeuge landeten auf der Insel Malta. Die Piloten gaben an, den Befehl erhalten zu haben, die Aufständischen in der Stadt Benghazi zu bombardieren. Sie verweigerten und suchten auf Malta um politisches Asyl an.

Als Reaktion auf die Landung libyscher Flugzeuge auf Malta versetzte Italien alle Luftwaffenstützpunkte in Alarmbereitschaft.


Ganze Teile der Armee fallen von Gaddafi ab. Das Regime schien sich aufzulösen. Justizminister Mustafa Abdel Jalili legte sein Amt nieder. Und auch die ersten libyschen Diplomaten drehten ihr Fähnchen nach dem Wind. In Kairo verkündete Libyens Botschafter bei der Arabischen Liga, Abdel Moneim al-Honi, er nehme fortan an der Revolution teil. Libyens Vertreter in Indien, Ali al-Essawi, trat zurück. Und der Großteil der bei der UNO in New York akkreditierten libyschen Diplomaten kehrten Gaddafi den Rücken. Der Botschafter in Wien war für keine Stellungnahme zu erreichen.

--> Libyen im Länderporträt

„Bis zur letzten Patrone“

In der Nacht auf Montag hatte Gaddafi seinen Sohn Saif an die Fernsehfront geschickt. Lange hatte Saif als Reformer gegolten, auch wegen seines Studienaufenthaltes in Wien. Bei seinem Auftritt zeigte er aber ein anderes Gesicht: „Wir werden bis zur letzten Minute und bis zur letzten Patrone kämpfen“, drohte er mit erhobenem Zeigefinger. Der Aufstand sei von außen gesteuert. Andererseits gab sich Saif beschwichtigend und versprach eine „historische“ Reforminitiative.

Mehrere Städte gefallen

Während das Regime um Tripolis kämpfte, schien es bereits die Kontrolle in anderen Städten verloren zu haben. Aus mehreren Quellen verlautete, dass Aufständische die Macht in Benghazi, der zweitgrößten Stadt Libyens, an sich gerissen hätten. Eine ganze Armee-Einheit namens „Donnerschlag“ soll übergelaufen sein.

Auch Sirte, die Geburtsstadt Gaddafis, ist angeblich gefallen. Allein in Benghazi sollen bei Kämpfen an die 200 Menschen ums Leben gekommen sein. Insgesamt gab es laut einer Menschenrechtsorganisation in den vergangenen fünf Tagen 400 bis 500 Tote.

--> Überblick: Aufstand in der islamischen Welt

Stämme sagen sich los

Auch die Gefolgschaft der Stämme, auf deren Loyalität Gaddafi seine Macht aufbaute, bröckelte. Faraj al Zuway, Chef des Zawwaya-Clans im Osten des Landes, drohte, den Ölexport innerhalb von 24 Stunden zu stoppen, wenn die Gewalt gegen die Demonstranten nicht aufhörte. Auch Akram Al-Warfalli, einer der Chefs eines großen Clans in Libyen, meldete sich öffentlich zu Wort: Gaddafi sei nicht mehr der Bruder seines Stammes, er solle das Land verlassen.

---

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22. 2. 2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.