Wie al-Qaida vom Machtvakuum profitieren kann

alQaida Machtvakuum profitieren kann
alQaida Machtvakuum profitieren kann(c) EPA (STR)
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Nordafrikas Despoten gaben die Devise aus: Entweder wir oder die Islamisten. Die Gefahr einer islamistischen Machtübernahme in Libyen ist zwar gering - die Jihadisten könnten aber die entstandenen Freiräume nutzen.

Es sieht aus wie ein Zuckersäckchen, aus dem ein weißes Pulver in eine rote Tasse mit Nescafé-Logo rieselt. Doch auf dem Papier prangt kein Sternzeichen, sondern das Konterfei von al-Qaida-Chef Osama bin Laden.

Ein Blogger illustrierte mit dieser Zeichnung eine Passage aus Muammar Gaddafis Rede vom Donnerstag: „Sie sind 17. Man gibt ihnen Drogen in ihre Getränke, ihre Milch, ihren Kaffee, ihren Nescafé“, hatte Libyens erratischer Revolutionsführer gesagt. „Man“ – das sind die Agenten des Terrornetzwerks al-Qaida. Sie seien es, die hinter dem Aufstand gegen Libyens gealterten Revolutionsführer stünden: So lautet die Interpretation des Regimes für die Vorgänge, die sich seit knapp zwei Wochen in dem Land abspielen.

Es ist Gaddafis schrillere Variante einer in der ganzen Region beliebten Erzählung, deren Adressat nicht zuletzt der Westen ist: Die autoritären bis diktatorischen Regime präsentieren sich als Garanten gegen den militanten Islam, gegen den Jihadismus. Als Regimegegner bekommt man da schnell das Etikett al-Qaida umgehängt.

Nun hat das Terrornetzwerk diese Woche dem Regime den Gefallen getan, die Demonstrationen ausdrücklich zu unterstützen: „Wir werden unser Möglichstes tun, um Euch zu helfen“, hieß es in einer Erklärung der Gruppe „al-Qaida im islamischen Maghreb“ (AQIM). Kein Wunder, ist doch Gaddafi weit mehr noch als Tunesiens Ben Ali oder Ägyptens Mubarak die Hassfigur schlechthin für die Terroristen, spätestens seit er Mitte der 1990er-Jahre Bin Laden ein Mordkommando in dessen sudanesisches Exil schickte. Und anders als im Falle der Aufstände in Tunesien und Ägypten, von denen al-Qaida nicht weniger überrascht wurde als der Westen, wollte man sich diesmal frühzeitig auf die „richtige“ Seite stellen, zumindest verbal.

Experten stufen die Gefahr einer islamistischen Machtübernahme in Libyen als sehr gering ein. Die tatsächliche Gefahr könnte eine ganz andere sein, und die würde den Westen sehr wohl betreffen: Libyen ging wie Tunesien mit allen militärischen und geheimdienstlichen Mitteln gegen den maghrebinischen al-Qaida-Ableger vor. Ein Machtvakuum arbeitet der Gruppe, die 2007 aus der algerischen „Salafistengruppe für Predigt und Kampf“ hervorging und sich „al-Qaida“ wie eine Marke anheftete, in die Hände.


Neue Bewegungsfreiheit. Werden – wie jetzt – die Grenzen kaum mehr kontrolliert und sind die Sicherheitskräfte durch den Aufstand gebunden, erhält AQIM eine ungeahnte Bewegungsfreiheit. In einschlägigen Internetforen werde bereits darüber diskutiert, wie man die neuen Freiräume nützen könnte, zitiert die „FAZ“ den Terrorismusexperten Philipp Holtmann.

AQIM könnte zum Beispiel ihre Geldbeschaffungsaktivitäten auszuweiten versuchen: Neben Drogenhandel sind das vor allem Entführungen. Zum Großteil betrifft das Algerier, besonders lukrativ ist es aber, wenn westliche Ausländer in die Fänge der Terroristen geraten, wobei hier bisweilen „freie Mitarbeiter“ von Beduinenstämmen den Terroristen zuarbeiten und entsprechend mitschneiden. 2008 war ein österreichisches Paar acht Monate lang in der Gewalt der al-Qaida im Maghreb. Nach ihrer Freilassung tauchten sofort Spekulationen auf, die Lösegeldzahlung sei über alte Bekannte des damals frisch verstorbenen Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider gelaufen: die Familie Gaddafi. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2011)

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