Facebook-Proteste in Kroatien weiten sich aus

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Jugendliche und Kriegsveteranen sind unzufrieden und fordern Rücktritt der Ministerpräsidentin. Ein massives Aufgebot an Sicherheitskräften hinderte die Demonstranten daran, sich der Regierung zu nähern.

Sarajewo/Zagreb. Und wieder protestierten hunderte Jugendliche im Zentrum Zagrebs und forderten den Rücktritt der Regierungschefin Jadranka Kosor und des Innenministers Tomislav Karamarko: Innerhalb von sieben Tagen fanden vier Protestkundgebungen statt. Für heute, Mittwoch, ist eine weitere angesetzt.

In der Nacht zum Dienstag blieb der Protest im Gegensatz zu Samstag friedlich. Ein massives Aufgebot an Sicherheitskräften hinderte die Demonstranten daran, sich dem Sitz der Regierung zu nähern, der Verkehr in der Innenstadt wurde jedoch vorübergehend lahmgelegt. Die auf 1000 Menschen angewachsene Menge begab sich dann zum Hauptquartier der Regierungspartei HDZ, das von einem starken Polizeiaufgebot gesichert wurde.

Wie in den arabischen Ländern wurde der Protest der Jugendlichen durch das Internet-Netzwerk Facebook organisiert. „Es gibt schon Ähnlichkeiten, aber der Funke wird wohl kaum auf die Bevölkerung überspringen“, erklärten übereinstimmend Informanten aus Zagreb. Das sehen die Protestierenden anders. Sie wollen auf die sozialen Probleme und auf fehlende Berufsperspektiven aufmerksam machen und wenden sich gegen die Integration des Landes in die EU, weil sie bei einem EU-Beitritt weitere soziale Opfer befürchten.

Am Samstag kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als sich Jugendliche und Fußballhooligans in eine gleichzeitig stattfindende Demonstration der Kriegsveteranen mischten. Die Kriegsveteranen demonstrierten auch in anderen Städten gegen ihren sozialen Abstieg. Viele sind verbittert, weil heute „in Kroatien Leute das Sagen haben, die während des Krieges im Ausland waren oder sich drückten, während wir das Land verteidigten“, erklärten Demonstranten nach einer Kundgebung in Split.

Die von rechtsradikalen Splittergruppen durchsetzten Veteranen haben nach dem Krieg beruflich nicht mehr Fuß gefasst. Sie werfen der Regierung auch vor, sie nicht ausreichend vor Strafverfolgung wegen Verbrechen während des Kroatienkrieges (1991–1995) zu schützen. Seit Monaten halten bosnisch-serbische Behörden den kroatischen Kriegsveteranen Tihomir Purda fest und wollen ihn nach Serbien ausliefern, wo er wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden soll.

„Soziale Lage ist bedrückend“

Beide Bewegungen, die Facebook- Generation und die Veteranen, haben entgegen aktuellen Presseberichten miteinander wenig zu tun. Beide Gruppen spiegeln unterschiedliche Protest-Milieus wider. Präsident Ivo Josipovič nahm in einem Statement scharf gegen die Jungen Stellung, während er das Anliegen der Veteranen als legitim bezeichnete. „Die soziale Lage mancher Veteranen ist bedrückend.“

Die Forderung der Veteranen, alle Serben aus der kroatischen Stadt Vukovar zu werfen, sei jedoch nicht zu akzeptieren. Die militanten Demonstranten aber hätten „Zagreb beleidigt“, erklärte der Präsident. Dass die Oppositionsparteien hinter den Protestierenden stünden, glaubt er nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2011)

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