Ukraine: Die Revolution im Rückwärtsgang

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Fünf Jahre dauerte das demokratische Experiment in der Ukraine. Doch binnen eines Jahres hat der neue Präsident Janukowitsch frühere Freiheiten rigoros beschnitten. Die Liste der Inhaftierten verlängerte sich.

DUARD STeiner

Kiew. Die Liste der Inhaftierten verlängerte sich in den vergangenen Monaten. Ex-Innenminister Juri Luzenko sitzt ein, auch Ex-Umweltminister Georgi Filiptschuk und der interimistische Verteidigungsminister. Insgesamt fast 20 Top-Beamte der Vorgängerregierung. Auch Ex-Premierministerin Julia Timoschenko wird nahezu täglich von der Staatsanwaltschaft einvernommen. Und Ex-Wirtschaftsminister Bogdan Danilischin suchte sein Heil in der Flucht und erhielt politisches Asyl in Tschechien.

In der Ukraine wird endlich aufgeräumt, sagt der neue Machtzirkel um Präsident Viktor Janukowitsch. In der Ukraine rächen sich die Neuen an ihren Vorgängern, heißt es unter Beobachtern.

Ein Jahr nachdem der im russischsprachigen Osten des Landes geborene Janukowitsch die Präsidentenwahlen gewann, erinnert nur noch wenig an die Errungenschaften der Orangen Revolution vor gut sechs Jahren. Fünf Jahre lang hatte das orange Lager rund um Timoschenko und den Ex-Präsidenten Viktor Juschtschenko eine jämmerliche Politik hingelegt, aber doch Gewaltenteilung und Pluralismus hochgehalten. Janukowitsch änderte die Regeln.

Totale Machtbasis im Parlament

Er verwarf die Geschäftsordnung im Parlament, um sich eine totale Machtbasis zu verschaffen. Später brauchte das Parlament nur noch acht Minuten, um den Verbleib der russischen Schwarzmeerflotte im Tausch gegen billigere Gasimporte und gleich auch noch das Budget durchzuwinken. Entgegen der Verfassung wurde der Termin für die Regional- und Parlamentswahlen verschoben. Janukowitsch schrieb das Wahlgesetz zum eigenen Vorteil um, machte die Verfassungsreform von 2005 rückgängig, die die Übermacht des Präsidenten beseitigt hatte, und hievte Weggefährten aus dem ostukrainischen Donezk in Schlüsselposten.

„Janukowitsch hat konsequent daran gearbeitet, in der Ukraine sein eigenes Russland aufzubauen“, meint Arkady Mosches, Forschungsdirektor des EU-Nachbarschaftsprogramms. „In einem Jahr haben wir hier ein zweites Weißrussland“, warnt Mykola Katerintschuk, Chef der ukrainischen „Europapartei“.

Neue Ratings sprechen für sich: War die Ukraine früher neben den baltischen Staaten das einzige postsowjetische Land, das von der Organisation Freedom House als „frei“ eingestuft wurde, so wurde es nun auf „teilweise frei“ herabgestuft. Im Ranking der Presse- und Meinungsfreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ fiel das Land von Platz 89 auf Platz 131. Und hinsichtlich ökonomischer Freiheiten sackte es laut Wall Street Journal auf Platz 164 ab. Gewiss, nach dem heillosen Chaos der Vorgängerregierung wird der straffere Kurs in gewisser Hinsicht auch als Fortschritt erlebt. Nach Zerwürfnissen mit der Vorgängerregierung hat der Internationale Währungsfonds im Vorjahr einen Stand-by-Kredit von 15 Milliarden Dollar beschlossen. Janukowitsch musste zwar auf heftige Proteste der Kleinunternehmer reagieren, konnte aber eine Steuerreform durchbringen. Auch setzte er höhere Kommunalabgaben und Gaspreise durch. Man missbrauche die Macht nicht, sondern nütze sie vielmehr dafür, unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen durchzuführen, heißt es seitens der Regierung.

Moskau zunehmend enttäuscht

Nach einem katastrophalen Einbruch 2009 zog die Wirtschaft 2010 wieder an. Doch die Stimmung unter den Konsumenten ist seit dem Sommer rapid gefallen. Die Inflationserwartung dürfte sich negativ auf die Nachfrage und damit aufs Wachstum auswirken. Der IWF erwartet fast elf Prozent Inflation.

Vor allem im Osten des Landes, Janukowitschs Hochburg, nimmt die Unzufriedenheit mit ihrem Abkömmling zu. Und auch Russland ist zunehmend enttäuscht, weil Janukowitsch auf Druck seiner ukrainischen Oligarchen an Branchen und Betrieben nicht das herausrückt, was Moskau im anfänglichen Überschwang auf dem Einkaufszettel hatte. Und die EU, der beizutreten Janukowitsch als strategisches Ziel ausgab, steigt bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen und die Abschaffung der Visumspflicht wieder auf die Bremse.

Die Ukraine droht abermals in den toten Winkel der internationalen Aufmerksamkeit zu gleiten, aus dem sie sich mit der Orangen Revolution katapultiert hatte, meint Mosches. Oder wie Boris Guseletow von der russischen Partei „Gerechtes Russland“ dieser Tage auf einer Konferenz in Kiew sagte: „Ja, vielleicht braucht es eine starke Hand zur Konsolidierung und Modernisierung. Aber wir in Russland hatten eine starke Hand. Und jetzt haben wir keine politischen Freiheiten, und Modernisierung haben wir auch nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2011)

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