Der Bau des ersten türkischen Atomkraftwerkes bei Akkuyu steht kurz bevor: Das Kraftwerk wird auf erdbebengefährdetem Gebiet stehen. Sogar ein Seebeben mit Tsunami wie in Japan erscheint nicht ausgeschlossen.
Istanbul/Keet. Noch am Tag des großen Bebens vor der Küste Japans verkündete der türkische Minister für Energie, Taner Yıldız: „Die japanischen Atomkraftwerke haben den Test bestanden.“ Ziel der Regierung ist es, Diskussionen um das eigene Atomprogramm zu vermeiden. Denn während andere Länder über den Ausstieg debattieren, organisiert man in der Türkei den Einstieg ins Atomzeitalter.
Mit dem Bau des ersten kommerziellen türkischen Reaktors bei Akkuyu an der Mittelmeerküste soll in einem Jahr begonnen werden. Das Gebiet gilt als ersten Grades erdbebengefährdet. In nur 20 bis 25 Kilometern Entfernung verläuft die Ecemis-Erdbebenspalte. Sogar ein Seebeben mit Tsunami wie in Japan erscheint nicht ausgeschlossen. Ecemis ist nicht die einzige Spalte, die Akkuyu bedroht. In knapp 40 Kilometern Entfernung verläuft eine weitere.
Die relativ kleine, aber rege Anti-AKW-Bewegung der Türkei hat bisher nur mit einer winzigen Kundgebung in Istanbul auf die neue Situation reagiert. Doch die Nachdenklichkeit in Sachen Atomenergie nimmt zu. Der Vorsitzende der Kammer der Elektrizitätsingenieure, Cengiz Göltaş, vergleicht das Verfahren beim Bau von Akkuyu mit jemandem, der Gegenstände vor einem Brand retten will. Nach einer gescheiterten Ausschreibung wurde der Auftrag nach Russland vergeben – ohne neue Ausschreibung.
Millionenstädte nahe AKW
Die Lizenz über die Unbedenklichkeit eines AKW am Strand von Akkuyu ist indes 38 Jahre alt. Alle drei Autoren der Studie meinen mittlerweile, dass die Kriterien von damals überholt seien. Sollte es in Akkuyu zu einem ernsten Störfall kommen, so müsste die knapp 20 Kilometer entfernt liegende Stadt Mersin mit einer Million Einwohnern evakuiert werden. Auch die Metropole Adana mit ihren zwei Millionen Einwohnern ist nicht viel weiter entfernt.
Das nächste Atomprojekt nach Akkuyu ist indessen schon geplant. Es soll bei Sinope am Schwarzen Meer entstehen – in einer ebenfalls erdbebengefährdeten Gegend.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2011)