Aufstand der "Essensvergifter" im Erdölparadies

Aufstand Essensvergifter Erdoelparadies
Aufstand Essensvergifter Erdoelparadies(c) REUTERS (STR)
  • Drucken

Die Schiiten Saudiarabiens leiden unter Vorurteilen und Diskriminierung. Abseits der internationalen Aufmerksamkeit liefern sie den Sicherheitskräften Straßenschlachten im Osten des Landes.

Sayed Ali, 28, bereitet sich mit seinen Freunden auf das übliche Ritual vor. Er hat schwarze Kleidung angezogen. „Die sieht man bei Nacht schlecht und man kann dich nur schwer von anderen unterscheiden“, sagt er. Und er legt eine schwarze Skimaske zurecht. Im Hintergrund läuft ein iranischer Nachrichtensender in arabischer Sprache, der den ganzen Tag Szenen von der brutalen Räumung des Protest-Camps, der Jagd auf Demonstranten und den Verhaftungen in Bahrain wiederholt.

Wie in dem kleinen Inselstaat Bahrain, nur eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt, ist die Mehrheit der Bevölkerung in und um Qatif schiitisch. Die Stadt am Persischen Golf gehört zu Saudiarabien. Hier leben mehrere hunderttausend Menschen. Beide Regionen – Bahrain und das Gebiet um Qatif – teilen eine lange gemeinsame Geschichte.

Regime schickt Panzer. Sayed Ali arbeitet in einer Bank. Sein Haus ist groß und modern eingerichtet, er hat einen neun Monate alten Sohn. Dennoch ist er einer von mehr als 3000 saudischen Schiiten, die später vermummt und mit der Fahne Bahrains vorneweg brüllend durch die Qatifer Altstadt marschieren werden. Und auch das ist schon fast ein Ritual geworden: Die saudischen Sicherheitskräfte sind mit mehreren Hundertschaften, leichten Panzern und Hubschraubern gekommen. Sie werden mit scharfer Munition in die Luft und mit Gummigeschossen und Tränengas auf die Demonstranten schießen. Bis spät in die Nacht lieferten sich Polizei und Demonstranten Straßenschlachten. Nach Angaben der Organisatoren des Protestes setzte die Polizei Schlagstöcke ein und verletzte mehrere Demonstranten. Mehrere Personen wurden festgenommen.

Geschenke des Königs. Die saudische Regierung nimmt die Proteste sehr ernst: Inzwischen hat sie sogar Kampfpanzer in die Region verlegt. Die Demonstrationen fanden nun schon das vierte Wochenende in mehreren saudischen Städten mit mehrheitlich schiitischer Bevölkerung statt. Und wegen des saudischen Truppeneinsatzes in Bahrain ist die Zahl der Demonstranten stark angeschwollen. Aber nicht nur deshalb haben die Proteste auch Bedeutung weit über den Osten Saudiarabiens hinaus.

In der Region werden 20 Prozent des Erdöls gefördert, das weltweit exportiert wird. Als sich am vergangenen Wochenende die Nachricht verbreitete, dass saudische Sicherheitskräfte auf die Demonstration in Qatif geschossen und zwei Demonstranten verletzt hatten, sprang der Ölpreis in die Höhe.

Auch die Geschenke, die der saudische König Abdullah am Freitag in einer kurzen Rede versprochen hat, werden an der Dynamik, die diese Proteste inzwischen gewonnen haben, wenig ändern. Der König versprach eine Anhebung des Mindestlohnes, den Bau von 500.000 neuen Häusern und die Schaffung einer Antikorruptions-Kommission. Seine Regierung bildete er jedoch nicht um, so wie einige Medien unter Berufung auf ausländische Diplomaten berichtet hatten.

„Für uns macht das keinen Unterschied“, sagte Sayed Ali gleich nach König Abdullahs Rede. „Gründe eine Kommission: Das ist die saudische Art sicherzustellen, das alles beim Alten bleibt.“ Und auch Tawfiq al-Saif, schiitischer Intellektueller und Stadtrat in Qatif, nannte Abdullahs Versprechen „kosmetische Veränderungen“. „Nur konkrete Schritte zur Einführung von demokratischen Reformen können jetzt noch helfen.“

Sayed Ali und seine Freunde beschweren sich über Diskriminierung auf vielen Ebenen. Sein Freund Hussein, freiberuflicher Computerspezialist beim staatlichen saudischen Ölkonzern Aramco, erzählt, wie er sich um eine Stelle bei einem Staatsbetrieb beworben hat, die er nicht bekommen habe, nur weil er Schiit sei: „Ich habe einen Uni-Abschluss mit Auszeichnung. Ich habe alle Hürden genommen, die Bewerbungen, Tests, aber als sie beim Bewerbungsgespräch gesehen haben, dass ich Schiit bin, wurde ich abgelehnt.“

Dass jemand Schiit sei, könne man am Namen erkennen oder am Eintrag im Personalausweis, wenn man in Qatif oder Umgebung geboren sei, meinen die anderen in der Runde. „Von einer Karriere bei der Polizei, beim Militär oder in der Verwaltung können wir nur träumen“, klagt Sayed Ali. „Wir wollen endlich gleich behandelt werden wie jeder andere saudische Bürger.“

„Wir sind saudische Bürger.“ Im wahabitischen Islam Saudiarabiens gelten Schiiten als „Abweichler“. Noch heute steht in jedem saudischen Schulbuch, dass sie keine richtigen Muslime seien. Ein in der Hauptstadt Riad weit verbreitetes Vorurteil ist, dass Schiiten Sex mit Minderjährigen hätten. Und dass man als Sunnit keinesfalls Essen von ihnen annehmen dürfe, weil sie reinspuckten oder es gar vergifteten.

Sayed Ali und seine Freunde glauben jedoch, die Diskriminierung lasse sich vor allem darauf zurückführen, dass die Schiiten in Saudiarabien verdächtigt würden, mit dem Iran gemeinsame Sache zu machen. „Aber wir sind doch saudische Bürger“, sagt er. „Und das werden wir immer bleiben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.