Warum Sarkozy zum Alleingang bereit war

(c) AP (Christophe Ena)
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Die Intervention in Libyen ist Frankreichs Gelegenheit, nach der Blamage in Tunesien und Ägypten wieder eine Hauptrolle in Nordafrika zu spielen. Die Abgrenzung vom deutschen Pazifismus kommt Sarkozy gelegen.

Paris. Was die Militärintervention in Libyen bewirken wird, ist noch unklar. Klar ist aber eines: Frankreich ist wieder zurück als gestaltende Kraft im Mittelmeerraum.

Zweimal stellte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in der Libyen-Krise seine westlichen Partner schon vor vollendete Tatsachen: Vor 14 Tagen hat Paris die libysche „Gegenregierung“ des Nationalen Übergangsrats als einzige legitime Vertretung des libyschen Volks anerkannt, während seine europäischen Kollegen und die verschiedenen EU-Sprecher noch nach Worten suchten.

Und bei der Entscheidung, gegen die Truppen Muammar al-Gaddafis militärisch vorzugehen, um so ein Massaker unter den Regimegegnern in Bengasi zu vermeiden, ließ Frankreich den anderen nur die Wahl, mitzumachen oder eben abseits zu stehen. Sarkozy hatte sofort erkannt, dass das Zögern der USA, neben den bereits sehr umstrittenen Kriegen in Afghanistan und im Irak eine „dritte Front“ zu eröffnen, ein Vakuum entstehen ließ. Frankreich schien hingegen aufgrund seiner Ablehnung des Kriegs gegen Saddam Hussein weniger vorbelastet.

Paris verschlief Volksaufstände

So lieferte der Hilferuf der libyschen Rebellen Paris den willkommenen Anlass, sich in der arabischen Welt als diplomatische Führungsmacht und als kompromissloser Verteidiger demokratischer Grundrechte zu rehabilitieren. Sarkozy und seine Regierung hatten nach der peinlichen Vorgeschichte mit den völlig verpassten Volksaufständen in Tunesien und Ägypten, den sehr kompromittierenden Pariser Beziehungen zu den gestürzten Herrschern einiges wettzumachen. Zu Hause und in der öffentlichen Meinung dieser Länder, die nun nach denselben demokratischen Werten streben, wie sie in der französischen Verfassung verankert sind.

Man weiß heute, dass Sarkozy entschlossen war, notfalls sogar im Alleingang in Libyen zu intervenieren und zumindest den anderen zuvorzukommen. Vorher aber sandte Sarkozy seinen Außenminister Alain Juppé nach New York mit dem Auftrag, den Segen der UNO zu holen, den er zur Legitimierung einer im Prinzip bereits beschlossenen Aktion brauchte. In seinem brillanten Plädoyer machte Juppé aus dem Entscheid eine Frage der Ehre. Genau hier will Sarkozys Frankreich sich abgrenzen, nicht zuletzt vom deutschen Pazifismus, der in der französischen Presse als Peinlichkeit gegeißelt wurde, die einer nach internationaler Statur strebenden Wirtschaftsgroßmacht nicht würdig sei.

Frankreichs handfeste Interessen

Hinter der Solidarität mit den libyschen Regimegegnern stehen freilich auch für Frankreich handfeste Interessen. Mit Gaddafi, der sich als Partner diskreditiert hatte, waren keine Geschäfte mehr zu machen. Die meisten Milliardenverträge, die er bei seinem pompösen Besuch in Paris Ende 2007 in Aussicht gestellt hatte, waren ohnehin nur leere Versprechen gewesen.

Vor allem aber zwingt die Dynamik des „arabischen Frühlings“ Frankreichs Außenpolitik zu einem Neubeginn. Mit Mubarak und Ben Ali waren nicht nur die zwei Eckpfeiler von Sarkozys Mittelmeerunion weggebrochen, das ganze Konzept eines „Mare nostrum“ unter französisch-europäischer Hegemonie ist dadurch Makulatur geworden.

Moralische Erpressung

Für Sarkozy geht es in Libyen auch darum, Frankreichs historischen Einfluss jenseits des Mittelmeers zu verteidigen. Dass dazu auch militärische Mittel eingesetzt werden, ist kaum umstritten, auch angesichts der Tradition französischer Auslandseinsätze. In der Gesinnung der meisten Franzosen ist es eine Frage des Nationalstolzes, dass das „Geburtsland der Menschenrechte“ notfalls mit Kanonendonner der Demokratie Gehör verschafft – und gleichzeitig seine nationalen Interessen verficht. Fast wie eine intellektuelle und moralische Garantie mutet diesbezüglich das Engagement des Philosophen Bernard-Henri Lévy an, der nach einem Frontbesuch in Bengasi Sarkozy erfolgreich zum Handeln drängte.

Die moralische Erpressung „Wer nicht interveniert, toleriert die Unterdrückung“ funktioniert auch intern: Bei einer Debatte im Parlament gab es weder von links noch rechts prinzipielle Einwände, die einzigen Bedenken der Opposition betrafen die Frage, ob die Intervention nicht zu spät komme – oder ob Frankreich im Kommando nicht von den US-Generälen in den Schatten gestellt werde. Ob dieser Burgfriede anhält, hängt allerdings auch in Frankreich vom Kriegsglück in Libyen ab.

Hintergrund

Frankreichs Führung machte bei den Revolutionen in Tunesien und Ägypten keine gute Figur. Paris reagierte nicht nur zögerlich; die mittlerweile zurückgetretene Außenministerin Michèle Alliot-Marie hat Tunesiens Diktator Ben Ali im Jänner sogar französisches Know-how beim Wiederherstellen der Ordnung angeboten. Wenig später wurden ihre Verbindungen zu einem Geschäftsmann aus dem Umfeld Ben Alis bekannt. Mit einer entschlossenen Reaktion in Libyen versucht Frankreich, dieses Bild nun zu korrigieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2011)

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