Reportage: "Warum versteht uns Frau Merkel nicht?"

(c) AP (Anja Niedringhaus)
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Der Sieg über die Gaddafi-Truppen in Ajdabiya hat den Aufständischen starken Auftrieb gegeben. Frankreichs Präsident Sarkozy ist der große Star im Rebellengebiet, die Enttäuschung über Deutschland ist aber groß.

Ajdabija/Bengasi. Attia Mussa Mabruk sitz am Stadtrand von Ajdabija auf einer leeren Raketenkartusche und betrachtet zufrieden die Siegesparty. Das Maschinengewehr auf den Knien, den Patronengurt umgehängt, neben sich ein paar trockene Fladenbrote und eine angebrochene Packung mit Streichkäse.

Er ist seit 16 Jahren Soldat und hat das ganze Vor und Zurück der Kämpfe der vergangenen Wochen miterlebt. Seit die ausländischen Kampfjets Gaddafis Panzer angreifen, scheint sich das Kriegsglück abermals zu wenden. Die Exsoldaten unter den Rebellen erfahren vorab über ihren Militärrat von den nächtlichen Zielen und sorgen dafür, dass junge Freiwillige dann nicht auf dem Schlachtfeld herumlaufen. Nach dem Bombardement „erledigen wir den Rest“, sagen sie. Überall liegen die verkohlten Karkassen von Gaddafis Kriegsmaschinerie aus russischen Panzern, Truppentransportern und Raketenwerfern. Teilweise sind ihre zehn Zentimeter dicken Stahlhäute von den Fliegerbomben aufgeschlitzt wie von einem Messer. Zum ersten Mal sind die Truppen des Regimes offenbar unumkehrbar auf dem Rückzug – auch wenn niemand mit einem schnellen Sieg über Gaddafi rechnet.

Nach dem „schwarzen Samstag“, als Gaddafis Panzer und Söldnerbusse plötzlich auf den Stadtbrücken auftauchten und der Revolution um ein Haar ihr Licht ausgeblasen hätten, macht sich langsam in der Rebellenhochburg Bengasi wieder Zuversicht breit. Die Aufständischen haben sich kürzlich entschlossen, ihren Provisorischen Nationalrat in eine Übergangsregierung umzuformen. Erster Regierungschef ist Mahmud Jibril, Gaddafis ehemaliger Planungsminister. Auch die Ressorts für Finanzen und Außenpolitik sind bereits besetzt.

Ein Sarkozy-Stadion für Bengasi?

Der befreite Ostteil Libyens braucht eine geordnete Verwaltung und die internationale Gemeinschaft einen Ansprechpartner, heißt es in der Führung der Opposition, die jeden Tag an einem anderen Ort tagt. Am Montag konnte diese selbsternannte Übergangsregierung einen wichtigen Erfolg einfahren: Als erstes arabisches Land hat sie Katar als legitim anerkannt, da sie „praktisch die Repräsentantin Libyens und seines Brudervolkes ist“.

Vor dem Justizpalast, dem Nervenzentrum der Opposition, schlendert derweil Khaled Badr mit einer französischen Flagge herum. Gäbe es im Osten Libyens ein Politbarometer, Nicolas Sarkozy wäre unangefochten auf Platz eins der Beliebtheitsskala. Sogar das neue Fußballstadion von Bengasi wollen seine libyschen Fans auf den Namen des französischen Präsidenten taufen lassen.

„Warum versteht uns Frau Merkel nicht?“, fragt der junge Ölingenieur. „Sie konnte nur deshalb Bundeskanzlerin werden, weil es in Ostdeutschland eine demokratische Revolution gab. Wir wollen das Gleiche – eine demokratische Revolution.“ Die erste Empörung über Deutschlands Haltung hat sich zwar gelegt, doch gut sind die Menschen nicht auf Berlin zu sprechen. „Wir werden uns das merken“, sagt ein anderer. „Wir werden unsere Freiheit erkämpfen und dann Deutschland auf die schwarze Liste setzen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2011)

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