Wem nützt der Anschlag von Minsk?

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Einen Tag nach dem Attentat in der U-Bahn der Hauptstadt wurden zwar Verdächtige gefasst. Der Hintergrund bleibt aber vorerst unklar. Ratlosigkeit und Schrecken saß tief in den Gliedern der Bürger.

Moskau/Minsk. Die Polizeipräsenz war noch stärker als ohnehin üblich, die Fahrpläne der U-Bahn von Weißrusslands Hauptstadt Minsk am Dienstag eingeschränkt. Am Eingang zur Station Oktjabrskaja im Stadtzentrum liegen Blumen der Anteilnahme für die zwölf Toten und mehr als 200 Verletzten des Anschlags vom Vortag, im Internet sieht man eine Fülle schwer erträglicher Fotos der Opfer. Dazu gibt es eine Unmenge an Verschwörungstheorien als Orientierungsersatz im ausgedünnten Informationsraum.

Einen Tag nach dem verheerenden Terroranschlag saßen Ratlosigkeit und Schrecken tief in den Gliedern der Bürger. Und auch die Beobachter konnten sich nur wenig Reim auf den Hintergrund der Bombenexplosion vom Montagabend machen. In Europas letzter Diktatur, wie der isolierte Polizeistaat unter Präsident Alexandr Lukaschenko gewöhnlich genannt wird, war diese Form der Konfliktlösung oder politischen Demonstration weitgehend unbekannt gewesen. Zumal sich bis Dienstagabend niemand zu dem Anschlag bekannte beziehungsweise Forderungen äußerte.

Die Behörden jedenfalls zeigten große Aktivität und nahmen schon im Lauf des Dienstags mehrere Personen fest, die im Verdacht stünden, an dem Terroranschlag beteiligt gewesen zu sein, wie der stellvertretende Generalstaatsanwalt Andrej Schwed sagte. Von anderen, die angeblich noch auf der Flucht sind, wurden Phantombilder angekündigt. Schon zuvor hatte der für seine Exzentrik bekannte Lukaschenko die Order an den Staatssicherheitsdienst KGB ausgegeben, das gesamte Land auf der Suche nach den Tätern „auf den Kopf zu stellen“. Ziel des Anschlages sei es gewesen, die Situation in Weißrussland zu destabilisieren, erklärte Schwed.

Geschickte Schaukelpolitik

Mehr als eineinhalb Jahrzehnte lang hat der 56-jährige Ex-Kolchosendirektor Lukaschenko das Image gepflegt, im postsowjetischen Chaos der Oligarchien eine straff geführte Insel der Stabilität für seine zehn Millionen Untertanen geschaffen zu haben: Planwirtschaft statt Kapitalismus, lautete das Motto, KGB statt Zivilgesellschaft, Isolation statt Öffnung. Lukaschenko hat die geografische Mittellage zwischen Russland und der EU geschickt dazu missbraucht, von Russland billige Öl- und Gaslieferungen zu erpressen und sich Europa gegenüber als Puffer vor einem unberechenbaren Russland zu präsentieren.

Durch die Finanzkrise und Russlands neue Preispolitik begann das Doppelspiel an seine Grenzen zu stoßen. Einer kurzen Hinwendung zu Europa im Vorjahr wegen der Aussicht auf drei Mrd. Euro Finanzhilfe folgte die brutale Auflösung der Demonstrationen gegen Wahlfälschungen bei der Präsidentenwahl im Dezember und die Inhaftierung zahlreicher Oppositioneller. Seither ist der Weg nach Europa für Lukaschenko und seine engsten Vertrauten versperrt. Weißrussland fährt wirtschaftlich rapide ins Tal, hat wenig Aussichten auf neue Kredite seitens des Internationalen Währungsfonds und verkommt immer mehr zum Spielball eines kreditgebenden Russlands, das sich im Gegenzug Zugriff bei der angekündigten Privatisierung in Weißrussland erwartet.

Risse im Establishment

Vor diesem Hintergrund schließen Beobachter die harmlose Opposition als Drahtzieher der Anschläge aus und tendieren zur Annahme, dass die Anschläge auf Risse innerhalb des sonst so monolithisch wirkenden Establishments hindeuten. „In der weißrussischen Elite tut sich zweifellos etwas“, sagt Hans-Georg Heinrich, Ex-Professor und Weißrusslandexperte in Wien, zur „Presse“: „Die Gewalt hat eine neue Qualität angenommen. Irgendjemand will zeigen, dass man hier nicht mehr sicher sein kann.“ Um die Opposition, weiter zu unterdrücken, hätte es eines Anschlages nicht bedurft.

„Der Anschlag nützt denen, die einen Ausnahmezustand im Land und ein Abrücken Weißrusslands vom Westen wollen und zudem die Opposition verleumden“, sagte der oppositionelle Ex-Präsidentschaftskandidat Alexander Milinkewitsch.

Lukaschenko selbst deutete an, dass die Drahtzieher durchaus auch im Ausland zu vermuten sind. In jedem Fall nütze der Anschlag den Machthabern eindeutig nicht, meint die weißrussische Politologin Olga Abramova: Sie sollten offenbar „in den Zustand psychologischer Paralyse gestürzt werden. Und vielleicht ist es ein Vorzeichen für eine künftige totale Destabilisierung, die nicht nur auf einen Wechsel der herrschenden Personen beschränkt bleibt“.

Auf einen Blick

In der weißrussischen Hauptstadt Minsk sind bei einem Bombenanschlag in der U-Bahn-Station Oktjabrskaja am Montagabend zwölf Menschen getötet und mehr als 200 verletzt worden. Gestern, Dienstag, wurden zwar Verdächtige verhaftet, der Hintergrund des Attentats ist aber noch unklar. Es gibt kein Bekennerschreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2011)

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