Serbien: Hungerstreik aus Machthunger

(c) AP (Darko Vojinovic)
  • Drucken

Oppositionsführer Nikolić will Neuwahlen erzwingen. Sein Zustand wurde immer schlechter, seit Donnerstag nimmt er aber wieder Flüssigkeit zu sich. Kritiker sprechen von einem ebenso unnötigen wie pathetischen Akt

Belgrad. Das nahende Osterfest hat Serbiens seit Tagen wegen eines Hungerstreiks im Krankenbett öffentlich darbenden Oppositionschef Tomislav Nikolić zumindest wieder am Abendmahlskelch nippen lassen. Auf dringende Bitte des serbisch-orthodoxen Patriarchen Irinej habe Nikolić seinen Durststreik am sechsten Tag abgebrochen, setze seinen Hungerstreik zur Durchsetzung von Neuwahlen aber fort, berichteten die Ärzte des Chefs der rechtspopulistischen Fortschrittspartei (SNS) am Donnerstag.

Auf die Journalistenfrage, ob Nikolić beim dargebotenen Abendmahl nicht auch Brot gegessen und damit seinen Streik faktisch beendet habe, wich der im Auftrag von Irinej ans Krankenbett entsandte Pope mit theologischem Tiefsinn aus: „Dies ist der Leib und das Blut von Christus. Das ist etwas anderes als Essen.“

Das Bild des mit matter Miene fastenden Mannes mit dem eindrucksvollen Doppelkinn prangt seit dem Wochenende täglich auf den Titelseiten serbischer Gazetten. „Ich gehe bis zum Ende“, hatte Nikolić vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus angekündigt. Sein „christlicher“ Kampf diene dem Wohle Serbiens: „Neun Millionen Menschen sind bedroht. Denn Serbien hat die schlechteste Regierung der Geschichte.“

Vom Nationalisten zum EU-Fan

Nach einer Großdemonstration seiner Anhänger in Belgrad am Samstag hatte der 59-Jährige die Verweigerung von Nahrung und Flüssigkeit angekündigt, bis Präsident Boris Tadić, der Chef der regierenden Demokratischen Partei, Neuwahlen ausschreibe. Die in der Wählergunst weit hinter die SNS gefallenen Demokraten haben an einem Urnengang noch in diesem Jahr allerdings kein Interesse. Unbedingt will die ausgelaugte Regierungspartei vor Neuwahlen noch den ersehnten EU-Kandidatenstatus unter Dach und Fach bringen.

Es ist der Hunger nach Macht, der Nikolić in den Hungerstreik trieb. Verstärkte Medienaufmerksamkeit ist dem vom Nationalisten zum EU-Paulus mutierten Politiker gewiss. Nikolić verliere täglich ein Kilogramm Gewicht, berichten seine Ärzte sorgenvoll in ausführlichen Bulletins mehrmals täglich über den Verfall ihres Patienten. Im Internet wird das vorösterliche Leiden von „Serbiens Gandhi“ in einer teuren Belgrader Privatklinik von den Surfern indes eher hämisch verspottet.

Kritiker sprechen von einem ebenso unnötigen wie pathetischen Akt. Denn auch wenn die Wahl erst im Frühjahr steigt: Laut Umfragen scheint dem „ewigen Zweiten“ der Sieg ohnehin kaum mehr zu nehmen. Die zunehmende Verarmung weiter Bevölkerungsschichten treibt dem oppositionellen Propheten besserer Zeiten fast automatisch immer neue Sympathisanten zu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.