Ungarn: Kämpfe zwischen Roma und Rechtsextremen

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In ungarischen Gyöngyöspata herrscht schon seit Anfang März Ausnahmezustand. Die Polizei hat ein Großaufgebot an Kräften nach Gyöngyöspata geschickt, ist aber machtlos.

Budapest. In Gyöngyöspata herrscht Alarmstufe Rot: In der Nacht auf Mittwoch artete in der nordostungarischen Gemeinde ein seit Wochen glimmender Konflikt zwischen rechtsradikalen Gruppierungen und der Roma-Minderheit in offene Gewalt aus. Bei einer Massenschlägerei zwischen Roma und den paramilitärischen Organisationen „Schutzmacht“ und „Betyaren-Heer“ wurden vier Menschen verletzt, eine Person sogar schwer.

Über den Hergang gibt es widersprüchliche Darstellungen. Seitens der rechtsextremen Gruppen heißt es, vier ihrer Leute seien von einer Hundertschaft „Zigeuner“ angegriffen und „halb tot“ geprügelt worden. „Schutzmacht“-Chef Tamás Eszes sagt, die Roma hätten, mit Eisenstangen und Knüppeln bewaffnet, aus dem Hinterhalt die vier „friedlichen und wehrlosen“ Personen attackiert. Die Roma behaupten, die „Neonazis“ hätten angefangen. Die hätten ein Roma-Haus mit Steinen beworfen, darauf hätten sich rund 100 Roma zur Wehr gesetzt.

Rechte Mobilmachung per Facebook

In Gyöngyöspata (rund 2800 Einwohner) im Komitat Heves mit der Hauptstadt Eger herrscht schon seit Anfang März Ausnahmezustand. Seit damals patrouillieren verschiedene uniformierte „Bürgerwehren“, um, wie sie sagen, dem „Zigeunerterror“ Einhalt zu gebieten. Einige dieser Gruppen gelten als Nachfolgeorganisationen der im Jahr 2009 rechtskräftig verbotenen „Ungarischen Garde“, dem paramilitärischen Arm der ultrarechten Partei „Jobbik“.

Die Polizei hat zwar ein Großaufgebot an Kräften nach Gyöngyöspata geschickt, allerdings war sie bisher dazu verdammt, dem Treiben tatenlos zuzusehen. Exekutive und Justiz haben noch kein rechtliches Mittel gefunden, um gegen „friedlich patrouillierende“ paramilitärische Truppen vorzugehen.

Nach der Eskalation haben mehrere rechtsextreme Organisationen über „Facebook“ zur Mobilisierung gegen die Roma in Gyöngyöspata geblasen. „Alle nach Gyöngyöspata!“, heißt es, und „Krümmst Du dem Ungarn nur ein Haar, wirst Du teuer dafür bezahlen!“. Dem Aufruf folgend, sind laut Medienberichten bereits drei Dutzend Mannen des „Betyaren-Heers“ (die heute mystifizierten Betyaren waren einst Straßenräuber) nach Gyöngyöspata gefahren.

Asyl für Roma in den USA?

Weil auch andere paramilitärische Organisationen auftreten, herrscht unter den rund 450 Roma Angst. Viele haben sich in ihren Häusern verschanzt. Daneben hat ein Exodus eingesetzt: Viele Roma fliehen und suchen Unterschlupf bei Verwandten anderswo. Der stellvertretende Vorsitzende der Roma-Bürgerrechtsbewegung, János Farkas, sagte gegenüber der ungarischen Nachrichtenagentur MTI, dass die Roma in Gyöngyöspata sogar erwögen, in der US-Botschaft um politisches Asyl zu bitten.

Unterdessen hat László Tábi, der Bürgermeister von Gyöngyöspata, angesichts der Zustände im Ort seinen Rücktritt eingereicht. Angeblich hat die rechtsradikale Jobbik-Partei nun die besten Aussichten, künftig den Bürgermeister zu stellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2011)

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