Abdullah Gül besucht "AKP-Kaderschmiede" in Wien

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Der türkische Präsident hat im Rahmen seines Staatsbesuchs auch dem Verein "Wonder" in Wien Ottakring seine Aufwartung gemacht. Dort soll Anfang des Jahres eine Gruppe radikalislamischer Prediger aufgetreten sein.

Wien. Ein Wunder scheint es nicht gewesen zu sein: Gestern, Dienstag, hat der türkische Präsident, Abdullah Gül, im Rahmen seines Staatsbesuchs den Verein „Wonder“ in Wien Ottakring besucht. In der türkischen Community sorgte das trotzdem vereinzelt für Verwunderung, andererseits: „Das sind ja seine Leute“, so eine Insiderin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

„Wonder“ ist ein Verein, der vorrangig türkische Studenten in Wien unterstützt, etwa mit Schlafmöglichkeiten und Sprachkursen. An „Wonder“ wenden sich beispielsweise religiöse Studentinnen, die in der Türkei aufgrund ihres Kopftuchs nicht an die Uni durften. Der Verein geriet Anfang des Jahres allerdings in die Schlagzeilen, als eine Gruppe mutmaßlicher radikaler Prediger in den Räumen von „Wonder“ einen Vortrag gehalten haben soll.

„Mir bleibt fast das Herz stehen“

Die Prediger wurden zwar von „Wonder“ eingeladen, nach Intervention der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) allerdings wieder ausgeladen, sagt der Integrationsbeauftragte der IGGiÖ, Omar Al-Rawi: „Wir haben sie gewarnt.“ Der Verein habe ihnen versichert, dass die Prediger – vier Männer aus Deutschland – nicht auftreten werden. Allerdings habe eine Person aus dem „Wonder“-Umfeld den Predigern trotzdem einen Auftritt gewährt. Die IGGiÖ distanzierte sich davon. „Es ist aber unfair, so zu tun, als wäre ,Wonder‘ ein Verein, der Hassprediger einlädt“, sagt Al-Rawi. Es sei ein einmaliger Fehltritt gewesen.

Nähere Details vom Auftritt sind jedenfalls nicht bekannt. Vonseiten der Polizei heißt es, dass man sehr wohl von der Einladung der Prediger Bescheid wusste. Zu einem Vortrag sei es allerdings nicht gekommen.

Was machte also Abdullah Gül in diesem Verein? Er besuchte türkischstämmige Migranten, machte sich ein Bild von ihrer Arbeit – und wurde auch gebührend empfangen. Noch vor seinem Erscheinen gestern Nachmittag hatten sich rund 100 Anhänger und Schaulustige vor dem Eingang des Vereinshauses versammelt. „Mir bleibt fast das Herz stehen“, sagte eine Mutter, die mit ihrem Kind und einer Digitalkamera gekommen war. Als das Auto des Präsidenten in die Straße einbog, wurde geklatscht und „Türkiye, Türkiye“ gerufen. Eintreten durfte nur ein ausgewählter Kreis; selbst die Handvoll Journalisten, meist von türkischen Medien, musste sich zuvor in Ankara akkreditieren lassen.

„Gül geht dorthin, um mit seinem politischen Nachwuchs zu sprechen“, sagt die Insiderin. Den Verein sieht sie als Kaderschmiede der gemäßigt islamischen Partei AKP, der auch Gül angehört. Die Studenten würden zwar in jeglicher Hinsicht unterstützt, stünden allerdings auch unter großem Druck: Die meisten schaffen ihr Studium in der Mindeststudiendauer; es werde Tag und Nacht gebüffelt. Nach dem Studium würden sie dann „entweder in die Türkei zurückgehen oder hierbleiben, um in relevanten Positionen mit den österreichischen Behörden in Kontakt zu treten – vor allem in Integrationsfragen“. Bis Redaktionsschluss war von „Wonder“ niemand zu erreichen.

Nicht nur seine Visite bei einem Verein, sondern sein Wien-Besuch überhaupt hat für Kritik bei kurdischen Vereinen gesorgt. Montagabend veranstalteten sie eine Kundgebung am Heldenplatz. „Es ist eine Charakterlosigkeit von Gül“, sagt Mevlüt Kücükyasar vom Dachverband der kurdischen Vereine („Feykom“) am Rande der Kundgebung und verweist auf die Forderung des Präsidenten, Zweisprachigkeit zu fördern. In der Türkei würde er das mit der kurdischen oder armenischen Minderheit nicht durchsetzen, so Kücükyasar. Im Gegensatz zu Ottakring gab es hier keinen Applaus, sondern Buhrufe, als Gül von seinem Auto ausstieg und in die Hofburg ging – zum Empfang von Bundespräsident Heinz Fischer.

„Ergebnisoffene Gespräche“

Wien. Am Dienstagvormittag hatte Gül gemeinsam mit Bundespräsident Heinz Fischer das österreichisch-türkische Wirtschaftsforum in Wien eröffnet. „Ich weiß, dass die Unterstützung im österreichischen Volk für einen EU-Beitritt der Türkei nicht sehr stark ist“, sagte Gül. Man müsse die Österreicher aber besser darüber informieren, welchen Zugewinn sie durch die EU-Mitgliedschaft der Türkei hätten. Gül verlangte abermals, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht zu behindern. Anschließend werde es darüber ohnehin Referenden in einigen EU-Staaten geben. „Die werden mit Ja oder Nein ausgehen. Wir werden das respektieren.“

Bundeskanzler Faymann machte nach seinem Treffen mit Gül klar, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei seien „für Österreich ein ergebnisoffenes Verfahren“. Außenminister Michael Spindelegger meinte, Österreich habe bei den Gesprächen mit Ankara eine privilegierte Partnerschaft mit der EU im Fokus. Man verhandle zwar über einen Vollbeitritt. „Wir sehen aber, dass hier relativ wenig weitergeht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2011)

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