Bin Laden unbewaffnet: War Erschießung zulässig?

Laden unbewaffnet Erschiessung zulaessig
Laden unbewaffnet Erschiessung zulaessig(c) EPA
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Der Terrorpate wurde lebend gefasst und erst danach erschossen, behauptet seine Tochter. Eine UN-Kommissarin verlangt Aufklärung zu den Todesumständen Bin Ladens. Ein Video könnte klären, ob Notwehr vorlag.

Durften die USA Terrorchef Osama bin Laden töten? Die Diskussion über diese Frage wird durch jüngste Angaben aus dem Weißen Haus angeheizt, Bin Laden sei unbewaffnet gewesen. Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, forderte am Mittwoch weitere Aufklärung zu den Todesumständen: "Es handelte sich um eine sehr schwierige Operation, und es wäre hilfreich, wenn wir die genauen Fakten der Umstände seiner Tötung kennen würden".

Die US-Regierung beteuert, dass Bin Laden Widerstand geleistet habe. Andere Männer in dem Anwesen seien außerdem bewaffnet gewesen. Bin Laden sei bei einem "unberechenbaren Schusswechsel" ums Leben gekommen. CIA-Chef Leon Panetta sagte, in dem Zimmer, in dem der Terrorführer war, habe es "bedrohliche Bewegungen" gegeben. "Wir hätten ihn verhaftet, wenn er seine Hände hoch genommen und sich ergeben hätte", so Panetta. Allerdings hätten er und Präsident Barack Obama den Einsatz nur teilweise live verfolgen können: In den entscheidenden Minuten ist die Verbindung unterbrochen. "Es gab einige sehr angespannte Momente, als wir auf Informationen gewartet haben."

Der US-Generalbundesanwalt Eric Holder verteidigte die tödlichen Schüsse als "Akt der nationalen Selbstverteidigung": Es habe keine Hinweis gegeben, dass Bin Laden sich ergeben würde.

Tochter: "Er wurde lebend gefasst"

Die zwölfjährige Tochter Bin Ladens soll diesen Angaben widersprochen und behauptet haben, dass ihr Vater lebend gefasst und wenig später vor den Augen seiner Familie erschossen wurde. Das berichten die Zeitung "The News" und der Sender al-Arabiya unter Berufung auf ein Mitglied des pakistanischen Sicherheitsapparats. Die Zwölfjährige habe die Kommandoaktion gegen ihren Vater hautnah miterlebt.

Experte: Erschießung "ultima ratio"

Der österreichische Völkerrechts- und Menschenrechtsexperte Manfred Nowak betont, die Erschießung sei "wirklich nur als ultima ratio" rechtmäßig gewesen. Er fordert, dass das Video von der Kommandoaktion in Pakistan veröffentlicht wird. Mit den derzeit vorhandenen Informationen lasse sich nicht beurteilen, ob die Navy Seals Gewalt verhältnismäßig eingesetzt hätten. Erschießen dürften die Sicherheitsorgane Personen jedenfalls nur aus Notwehr, so Nowak.

Die USA hätten das Recht gehabt, Bin Laden festzunehmen und vor Gericht zu stellen, erklärt Menschenrechtsexperte Nowak. Auch dass die Aktion in Pakistan stattgefunden habe, sei völkerrechtlich kein Problem.

Eine "mission to kill", von der US-Medien sprachen, sei hingegen "sicher nicht in Ordnung und völkerrechtlich nicht gedeckt". Eine Tötung im Kriegszustand liege nicht vor. Zwar wird im Völkerrecht anerkannt, dass nicht nur Staaten, sondern auch nichtstaatliche Organisationen gegeneinander Krieg führen können. Bei al-Qaida handle es sich aber um "eine Gruppe der organisierten Kriminalität und somit handelt es sich um eine Frage des Strafrechts." Auch der von Obamas Vorgänger Georg W. Bush ausgerufene "War on Terror" sei kein Krieg, sagt Nowak.

Kein "Tyrannenmord"

Auch mit einem "Tyrannenmord" können die USA die Tötung nach Ansicht von Völkerrechtsexperten nicht rechtfertigen. "Bin Laden war ja nicht jemand, der über einen Unterdrückungsapparat verfügt hat", erklärt der Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat.

Tomuschat glaubt, dass die USA die Akzeptanz für gezielte Tötungen erhöhen wollen. "Die Amerikaner versuchen, eine neue Völkerrechtsregelung zu schaffen. Irgendwann kann man eben sagen: 'Das hat sich mittlerweile konsolidiert, niemand hat widersprochen.'"

"Erschießung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun"

Der australische Menschenrechtsanwalt Geoffrey Robertson kritisiert, die Erschießung Bin Ladens habe mit Gerechtigkeit nichts zu tun: "Gerechtigkeit heißt, jemanden vor Gericht zu stellen, ihn auf Grundlage von Beweisen für schuldig zu befinden und ihn dann zu verurteilen". Nach dem, was man jetzt wisse, könne der Einsatz des US-Kommandos auch ein kaltblütiger Mord gewesen sein.

Der einflussreiche muslimische Geistliche Syed Ahmed Bukhari meint, die USA würden nach dem Gesetz des Dschungels handeln: "Die Menschen haben lange stillgehalten, aber nun ist eine Grenze überschritten."

(Ag./Red.)

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