Flüchtlinge: „Wartet nicht auf ein Notsignal!“

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Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR ruft Nato und EU zu verstärkter Hilfe für Bootsflüchtlinge auf. Offenbar besteigen nämlich nicht alle Flüchtlinge die Boote nach Europa freiwillig.

Lampedusa/Wien/Ag./Aga. Sie flüchten in ein neues Leben, das oft schon nach wenigen Stunden mit dem sicheren Tod endet: In viel zu kleinen Booten, die der unruhigen See kaum standhalten können, setzen derzeit tausende Menschen von Libyen nach Europa über. Ein großer Teil erreicht jedoch nie das Ziel. „Mindestens 800 Menschen sind in den vergangenen Wochen bereits ertrunken“, sagt die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshochkommissariats, Melissa Fleming, zur „Presse“. Angesichts der dramatischen Lage ruft die UNO jetzt Nato und EU dazu auf, verstärkt Hilfe zu leisten. „Unsere klare Botschaft ist: Wartet nicht auf ein Notsignal, fahrt sofort hin, schaut, ob die Menschen Hilfe brauchen und rettet sie“, so Fleming.

Sie spricht die erst jetzt bekannt gewordene Flüchtlingskatastrophe an, die sich im März und April vor der Küste von Tripolis zugetragen hat und der Nato scharfe Kritik einbringt: Wie der „Guardian“ berichtete, hätten von 72 Passagieren eines Flüchtlingsbootes nur elf überlebt – und das, obwohl die besorgniserregende Lage ihres kleinen Bootes den vor der Küste Libyens patrouillierenden europäischen Streitkräften klar gewesen sei. Wegen Treibstoffmangels war das Boot 16 Tage lang im Mittelmeer getrieben.

Per Satellitentelefon konnten die Passagiere jedoch einen Mittelsmann in Rom informieren, der die Notlage an die italienische Küstenwache weiterleitete. Ein Hubschrauber sei daraufhin über dem Boot angekommen, habe Wasser heruntergelassen und baldige Hilfe angekündigt. Diese sei aber nie angekommen, zitiert der „Guardian“ Überlebende. Die Lage der Flüchtlinge verschlimmerte sich stündlich: „Jeden Tag wachten wir auf und fanden neue Leichen, die wir nach 24 Stunden über Bord warfen.“ Ein Flugzeugträger, in dessen Nähe das Boot getrieben worden war – nach Angaben des „Guardian“ das französische Schiff „Charles de Gaulle“– habe auch keine Hilfe geleistet.

Zwingt Gaddafi Flüchtlinge zur Überfahrt?

Die Nato dementierte diesen Bericht heftig. Zum fraglichen Zeitpunkt habe sich lediglich der italienische Flugzeugträger „Garibaldi“ im Mittelmeer befunden – allerdings 100 Seemeilen von der Unglücksstelle entfernt, so die Nato.

Unterdessen gibt es auch neue Vorwürfe gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi: Offenbar besteigen nämlich nicht alle Flüchtlinge die Boote nach Europa freiwillig: Gaddafi würde die Abfahrt tausender Menschen nach Süditalien organisieren, um mit dem massiven Migrantenstrom Europa unter Druck zu setzen, so das UNHCR. „Wir hören von vielen Migranten, die in Lampedusa ankommen, dass sie zu der Fahrt aufgefordert wurden und auch nichts dafür bezahlt haben“, so Fleming.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2011)

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