Ukraine: Behörden drohen Timoschenko mit Verhaftung

(c) AP (Virginia Mayo)
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Die streitbare Oppositionsführerin wurde gestern festgehalten, als sie zu einem Verhör bei der Staatsanwaltschaft erschienen war. Eine Anklage wegen eines Gasdeals mit Russland steht offenbar kurz bevor.

Kiew. Macht besteht manchmal auch darin, dass sie niemandem eine Erklärung schuldet. Die streitbare ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko, bis 2010 Premierministerin, musste am Dienstag eine verwirrende Machtdemonstration der Obrigkeit erleben: Wollte man sie wirklich festnehmen? Und hat man es sich dann aufgrund internationalen Drucks anders überlegt? War es eine martialisch inszenierte Drohgebärde? Oder dauerte das Verhör durch die Staatsanwaltschaft gestern einfach ein bisschen länger als gewohnt?

Der Tag hatte für Timoschenko, Ikone der Orangen Revolution und mehrmalige Regierungschefin, wie so viele Tage in den vergangenen Monaten begonnen: Für zehn Uhr war eine Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft im Kiewer Bezirk Podol angesetzt, wieder einmal zu dem umstrittenen Gasgeschäft mit Russland. Timoschenko fuhr wie gewohnt im schwarzen Mercedes vor. Begleitet von einer Handvoll Bodyguards stieg die Frau mit dem blonden Haarkranz aus und schlüpfte durch das schmiedeeiserne Tor der Generalprokuratur „für die Verfolgung besonders schwerwiegender Straftaten“.

Drinnen wurde Timoschenko dann festgenommen. Zumindest wurde das zunächst kolportiert, die Staatsanwaltschaft präsentierte den Haftbefehl eines Kiewer Bezirksgerichts. „Wir haben keine Nachricht von ihr“, erklärte Timoschenkos Sprecherin Marina Soroka draußen auf dem Gehsteig aufgeregt. Maskierte Einsatzkräfte einer Spezialeinheit hätten Timoschenko umringt, ihre Bodyguards seien hinausgeworfen worden. Jetzt herrsche Funkstille: „Das hat es noch nie gegeben. Es scheint alles geplant gewesen zu sein.“ Geplant oder inszeniert.

Starker Druck aus EU und USA

Denn später verkündete überraschend der Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka, ein Vertrauter von Präsident Viktor Janukowitsch, dass man den Gerichtsbeschluss „heute nicht“ exekutiere, Timoschenko durfte am späten Nachmittag die Prokuratur verlassen. Ob nicht doch eigentlich eine Verhaftung geplant war, darüber lässt sich nur mutmaßen: Offenbar hatten die EU-Staaten und die USA starken Druck ausgeübt, am frühen Nachmittag war es in Kiew zu hektischen Treffen gekommen. Dennoch halten die Justizbehörden nunmehr ein Faustpfand in der Hand: Wenn notwendig, können die Behörden die 50-Jährige jederzeit festnehmen. Dafür werde in Kürze Anklage gegen sie wegen des für die Ukraine angeblich verlustreichen Gasdeals mit Russland erhoben.

In der offiziellen Begründung des Gerichts heißt es, Timoschenko „sabotiere“ die Ermittlungen. Tatsächlich war sie vergangene Woche nicht zu den angesetzten Verhören erschienen, sie sei krank, hatte es geheißen. Die Behörden dürften sich grün und blau geärgert haben, dass sie Freitagabend, wundersam gesundet, als Gast in der TV-Talkshow „Schuster Live“ auftrat.

„Sie wollen Julia politisch vernichten“

Für die Unterstützer der charismatischen Politikerin wirkt das Vorgehen der Behörden wie ein abgekartetes Spiel. Auf eine unabhängige Justiz vertrauen sie nicht, sie sprechen von Abrechnung. Sofia Slidar, eine 70-jährige Pensionistin, ist mit 80 anderen Unterstützern zum Protest vor der Staatsanwaltschaft erschienen: „Sie wollen sie politisch vernichten, damit sie nicht an den nächsten Wahlen teilnehmen kann“, erklärt sie. „Julia“, wie ihre Anhänger die Politikerin nennen, sei „absolut unschuldig“. Man wolle die angriffslustige Timoschenko, die wie am Fließband bloggt, twittert und keine Gelegenheit ausläßt, Janukowitsch zu kritisieren, mundtot machen.

Die Justiz wirft Timoschenko Amtsmissbrauch in drei Fällen vor. Im Zentrum der Vorwürfe steht der von ihr 2009 geschlossene Gasdeal mit Russland. Die heutige Regierung sieht darin einen Schaden für die Ukraine; einen „räuberischen Vertrag“, dessen Annullierung man erreichen will. Ihr droht eine Strafe von sieben bis zwölf Jahren.

Erinnerung an Sowjet-Justiz

Seit dem Amtsantritt von Janukowitsch rollt eine Ermittlungswelle gegen frühere Regierungsmitglieder. Nicht nur die Anhänger der Opposition halten dies für eine bedenkliche Entwicklung. Nico Lange, Leiter des Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, sieht eine Wiederkehr des „postsowjetischen Erpresserstaats“: „Politische Gegner mit Gerichtsverfahren einzudecken war bis zur Orangen Revolution gängige Praxis.“ Und ist es offenbar wieder. Von einer „unabhängigen Justiz“ zu sprechen, hält Lange für „zynisch“. Dass jemand Interesse habe, dass exponierte Vertreter der Vorgängerregierung in Haft bleiben, erkenne man auch an der „Unverhältnismäßigkeit“ der Vorwürfe und dem Verhalten der Behörden. Lange: „All das erinnert stark an das sowjetische Rechtssystem, bei dem mit Beschuldigung und Anklage von staatlicher Seite die spätere Verurteilung schon klar war.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25. Mai 2011)

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