Gefangen im Klientelsystem

Gefangen Klientelsystem
Gefangen Klientelsystem(c) REUTERS (JOHN KOLESIDIS)
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Der griechische Premier Georgios Papandreou hat mit der Ernennung seines ehemaligen Erzrivalen Evangelos Venizelos zu seinem Stellvertreter und Finanzminister seine eigene Position geschwächt.

Man nennt ihn noch immer „Georgakis“, denn er ist nicht nur der Sohn von Pasok-Gründer Andreas Papandreou, sondern auch der Enkel des gleichnamigen griechischen Premiers Georgios Papandreou. Seinen 59. Geburtstag hat sich der „kleine Georgios“ sicher anders vorgestellt: Es war der bisher dramatischste Tag seiner politischen Laufbahn.

Zunächst hatte der Sozialdemokrat seine Bereitschaft signalisiert, als Ministerpräsident zurückzutreten, um den Weg für eine „Regierung der nationalen Einheit“ mit der konservativen Nea Dimokratia unter Adonis Samaras frei zu machen. Dass die Große Koalition nicht zustande kam, lag nicht ausschließlich an der Weigerung von Samaras, das Sparpaket in seiner jetzigen Form mitzutragen. Die Vorstellung, ihr Premier könnte freiwillig die Macht abgeben, löste in der sozialdemokratischen Fraktion blankes Entsetzen aus. „Ich gehe davon aus, dass Papandreou diesen Vorstoß in aller Ehrlichkeit gemacht hatte“, meint der Journalist Jannis Pretenderis, „aber aufgrund des heftigen Drucks innerhalb der Partei hat er einen Rückzieher gemacht.“

Ehrlichkeit, dafür hat Papandreou sogar schon einen Preis in Berlin bekommen. Weil er die Verantwortung griechischer Politiker an der katastrophalen Lage seines Landes offen benennt. Und für die Bereitschaft zur Selbstkritik, die er jetzt wieder in der Auseinandersetzung mit seiner Fraktion nicht gescheut hat.

Verfechter des Sparpakets.
Es sind Werte einer Konsensdemokratie, in die der in Amerika und Schweden erzogene Soziologe Griechenland führen wollte. Doch es sind die gleichen Ursachen, die das Land in die Schuldenkrise geführt haben, die Papandreou mit diesem Anliegen wie „Alice im Wunderland“ erscheinen lassen. Papandreou wird nicht müde zu betonen, dass er die Interessen des Landes über seine eigenen stelle. Deswegen verfechte er, immerhin Vorsitzender der Sozialistischen Internationale, gegen die Widerstände von Partei und Gesellschaft das Sparpaket, da ein Staatsbankrott noch viel schlimmer für die Griechen sei. Deswegen habe er auch seinen Rücktritt gegen Konsens angeboten. „Man muss sich fragen, welche Position der Konsens, die Einheit und die Verständigung in der Vorstellungswelt des griechischen Premiers einnehmen, wenn er sich an eine Gesellschaft richtet, die daran gewöhnt ist, in Kategorien von zersplitterten Eigeninteressen zu agieren“, meint die Kommentatorin Maria Koutsounaki.

Als seine Partei am Donnerstag kurz davor stand, die Führungsfrage zu stellen, habe auch er es nicht geschafft, „der Rettung des Landes und nicht seines Klientelsystems“ Priorität zu verleihen – ebenso wenig wie Samaras. „So sind sie beide Kinder des gleichen Systems, das sie politisch aufgezogen hat.“

Mit seiner Regierungsumbildung hat Papandreou einen Schritt zurück in dieses System gemacht, um die Position seiner „ererbten“ Pasok wieder zu festigen. Seine eigene aber hat er innerhalb der Regierung geschwächt. „Georgios hat die Schlüssel abgegeben“, titelte die populistische „Avriani“, nachdem Papandreou seinen ehemaligen Rivalen und altgedienten Pasok-Strategen Evangelos Venizelos nicht nur zum Finanzminister, sondern auch zum Vizepremier ernannt hat. Möglicherweise hat Papandreou damit tatsächlich das Wohl des Landes über sein eigenes gestellt, wenn auch in den Kategorien eines Systems, das er mit einer für Griechenland neuen Transparenz zu überwinden hoffte.

Baldige Neuwahlen? Venizelos, „Bulldozer“ genannt, wird es vielleicht eher gelingen, sich durchzusetzen, gegen die Widerstände in der eigenen Partei, aber auch gegen den Druck der Straße – und gegen eine „Try-harder“-Mentalität der Kreditgeber, die Griechenland immer noch härtere Opfer abverlangt.

Tatsache ist: Die Schuldenlast droht, Griechenland langfristig zu ersticken; die Verhandlungsspielräume mit den Kreditgebern sind daher mehr als begrenzt. Der politische Handlungsspielraum der neuen Regierung Papandreou wird entscheidend davon abhängen, ob die Protestbewegung gegen die Sparmaßnahmen, aber auch gegen das gesamte politische System befriedet werden kann. Möglich ist das nur, wenn es spürbare Anzeichen wirtschaftlicher Erholung gibt. Beobachter halten das Sparpaket für das falsche Rezept, sagen dem neuen Kabinett nur eine kurze Lebenszeit voraus und prophezeien baldige Neuwahlen. Die dürften zwangsläufig das „Vernünftige und Selbstverständliche“ bringen, so Pretenderis: die erste Koalitionsregierung Griechenlands und damit vielleicht den Beginn einer Konsenskultur. Sie von oben zu schaffen, dazu war „Georgakis“ vielleicht doch zu klein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2011)

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