Türkei: Eklat im Parlament

(c) AP (BURHAN OZBILICI)
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Weil einige ihrer Abgeordneten in U-Haft sitzen, verweigerten ein großer Teil der Abgeordneten der Oppositionsparteien den Eid. Erdoğan kritisierte den Boykott scharf.

Istanbul/Keet. Es war die erste Sitzung des neu gewählten türkischen Parlaments, und sie endete in einem Eklat: Ein großer Teil der Abgeordneten verweigerte am Dienstag die Leistung des Eides oder boykottierte die Sitzung überhaupt. Der Grund ist, dass einige in Untersuchungshaft sitzende, aber am 12. Juni gewählte Abgeordnete nicht entlassen wurden, um teilzunehmen.

Ein kurdischer Abgeordneter wurde sogar wegen einer Vorstrafe nachträglich von der Wahl ausgeschlossen. Die prokurdische „Partei für Frieden und Demokratie“ (BDP) entschloss sich daraufhin zum Boykott. Fünf weitere ihrer 35 Abgeordneten sind in U-Haft. Man wirft ihnen Mitgliedschaft in einer Organisation vor, die der kurdischen Untergrundorganisation PKK nahestehen soll.

Die Vertreter der größten Oppositionspartei, der Republikanischen Volkspartei (CHP), erschienen zwar zur Sitzung, verweigerten aber mit einer Ausnahme den Eid. Von ihren 135 Abgeordneten sind der Journalist Mustafa Balbay und der Medizinprofessor Mehmet Haberal in U-Haft. Sie werden verdächtigt, der regierungsfeindlichen Geheimorganisation Ergenekon anzugehören. Parteichef Kemal Kiliçdaroğlu erwartet nun ein Signal des alten und neuen Premiers Recep Tayyip Erdoğan, dass die beiden Abgeordneten aus der U-Haft entlassen werden.

Erdoğan kritisierte den Boykott scharf. Die Parteien hätten gewusst, dass es Schwierigkeiten mit diesen Abgeordneten geben würde: „Konnten sie denn keine anderen Kandidaten finden?“

Die Opposition kritisiert einerseits, dass die Regierung sich in die Justiz einmischt, andererseits verlangt sie nun genau das. Ein Problem mit der Glaubwürdigkeit hat aber auch Erdoğan, denn vor Jahren war er in der gleichen Lage wie heute der ausgeschlossene kurdische Abgeordnete. Damals half ihm sogar die CHP, sonst wäre er nie Premier geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2011)

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