Der blutige Traum von einem Großserbien

(c) EPA (-)
  • Drucken

Nach dem Rückzug der jugoslawischen Volksarmee aus Slowenien rückten die serbischen Minderheiten Kroatiens in den Fokus. Bald fiel der Startschuss zu einer Welle „ethnischer Säuberungen“.

Sarajewo/Split. 1991 gab es Jugoslawien nicht mehr. Die Volksarmee fiel auseinander. Massenhaft desertierten Slowenen, Kroaten, Albaner und bosnische Muslime, die Serben übernahmen die Kontrolle. Und ihnen fiel alles Gerät der fünftgrößten Armee Europas zu.

Slowenien war aus dem Spiel, jetzt war Kroatien im Fokus. Am 5.Juli zogen sich die Resttruppen der Volksarmee aus Slowenien zurück und kamen nach Kroatien. Die Realisierung des alten Traums des serbischen Nationalismus, Großserbien zu schaffen, rückte näher. Nicht der Erhalt Jugoslawiens war nun das Ziel der serbischen Nationalisten. Mit dem Rückzug aus Slowenien entstand eine andere Option. In Kroatien gab es eine serbische Minderheit, die in einigen Gemeinden die Mehrheit stellte: der Keim von Großserbien.

Angesichts der militärischen Überlegenheit der Serben wurden ihre Forderungen Mitte 1991 immer entschiedener. Der Nationalist Vojislav Šešelj höhnte, Kroatien werde so groß sein, wie man von Zagrebs Kirchturm sehen könne.

Für mich war es nach der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens zunächst nicht möglich, nach Knin, ins Hauptquartier der serbischen Streitkräfte und die Hauptstadt der „Republik Serbische Krajina“ zu kommen. Die serbischen Gebiete wurden abgeriegelt. Im Juli kam es zu Scharmützeln in Ostslawonien, im August konnte ich Flüchtlinge aus dem kroatischen Dorf Kijevo in Split treffen. Die traumatisierten Menschen berichteten von Artillerieangriffen, das Dorf, wurde „dem Erdboden gleichgemacht“. Kijevo war eines der ersten Opfer der „ethnischen Säuberungen“.

Nach den Erfahrungen in Bosnien zeigte sich die Militärtaktik noch klarer: Eine Stadt, ein Dorf, eine Region mit Artillerie anzugreifen, die Bewohner zur Flucht zu zwingen und Bodentruppen zu schicken, die töten, was sich noch bewegt. „Zerstören und töten“ hieß die Militärdoktrin der jugoslawischen Armee und ihres regionalen Kommandeurs in Knin, Ratko Mladić, der später in Bosnien traurige Berühmtheit erlangen sollte. Mit ihrer Überlegenheit gelang es ihr, bis Herbst 1991, fast ein Drittel des kroatischen Territoriums zu erobern. Dort lebende Minderheiten wurden vertrieben, viele ihrer Häuser zerstört, Kirchen gesprengt. Im Herbst hatte der Krieg schon mehr als 10.000 Opfer gefordert.

Konflikt wurde eingefroren

Die Kroaten hatten der Feuerwalze kaum etwas entgegenzusetzen. Anfangs waren nur die Polizeikräfte einsatzbereit, und die vielen Freiwilligen, die mit Jagdflinten und selbst organisierten Waffen an die Fronten eilten. Tudjman hatte im Gegensatz zu den Slowenen darauf verzichtet, die Unabhängigkeitserklärung militärisch abzusichern.

Wir Journalisten mussten nun das Gebiet verlassen – oder Kriegsreporter werden. Das hieß, nicht mehr naiv zu sein, nicht mehr zu glauben, ein Presseausweis schütze. Mein slowenischer Kollege Ervin und ich wurden Ende August bei Glina südlich von Zagreb von einem Hubschrauber angegriffen. Wir sprangen aus dem Auto, retteten uns in ein Wäldchen, der Leihwagen ging in Flammen auf. Egon Scotland von der Süddeutschen hatte weniger Glück, er kam in der gleichen Region um.

Zwar wurden auf internationalen Druck immer wieder Waffenstillstände ausgerufen, doch die Serben brachen sie sofort. Zu verlockend war die Aussicht, weiteres Terrain zu erobern. Erst mit der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die EG-Staaten (außer Griechenland) am 15. Jänner 1992 beruhigte sich die Lage. Der Waffenstillstand hielt, UN-Truppen rückten in die von Serben besetzten Gebiete ein. Der Krieg in Kroatien war erst einmal eingefroren. Erst im Sommer 1995 sollte sich das Blatt wenden. Kroatien eroberte die besetzten Gebiete zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.